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Tragödie eines Negers

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Der junge Amerikaner Lowrey wagt sich in seinem ersten Roman an eines der brennendsten Probleme Amerikas, die Rassenfrage, die er, das sei vorweggenommen, völlig aus dem Bereich der Sensation heraushebt in ihre vielschichtige menschliche Problematik. Lowrey erzählt die Geschichte des jungen Negers William Ransom Edwards. Er wächst in den Südstaaten im Hause einer geachteten weißen Familie auf, zusammen mit deren Kindern, von jeher „fast als Mitglied des Mayfieldschen Haushaltes betrachtet, als ein Mitglied der Dienerschaft natürlich . . .” Der Krieg bringt Edwards die Chance, jene Grenze zu überschreiten, die ihn, den Farbigen aus den Südstaaten, in seiner Heimat doch immer den „Nigger” bleiben ließ, dessen Minderwertigkeit auf Grund seiner Rassenzugehörigkeit eine unumstößliche Tatsache war, auch für die ihm freundlich gesinnten Weißen. William kommt als Soldat weit in der Welt herum und findet schließlich, durch die Army, Eingang in Wrexham, einer der exklusivsten amerikanischen Universitäten. Im College gewinnt er weiße Freunde, unter ihnen den Südstaatler Steve Lamont, die in Edwards den Menschen achten, für die die Persönlichkeit mehr gilt als die Hautfarbe.

,In dieser Zeit lernte man und wurde sich dessen bewußt, daß er zwar vielleicht kein dunkelhäutiger Steve Lamont war, daß aber ein dunkel- häutiger William Edwards weitgehend das gleiche sein konnte. Der eine (der Sohn des Chauffeurs, der farbige Junge aus dem Hinterhof, der einfache Soldat) war, mit oder ohne Tweedjacke, nicht geringer als der andere (der weiße und mehr noch als weiße Sohn eines Aristokratensohns), auch er mit oder ohne Tweedjacke, und die Zuversicht, mit der es sich der eine zu glauben gestattete, war kaum geringer als die Großmut, mit der der andere bestätigte, daß es wahr sei…”

Edwards eigentliche Tragödie beginnt, als er nach seiner Graduierung vorübergehend nach New Antioch zurückgeht, bevor er eine Stelle in Chikago anzunehmen gedenkt. Den Umweg über seine Heimat macht er um seiner Mutter willen, und weil er sicher hofft, die persönliche Befreiung und Entdeckung, die ihm Wrexham schenkte, werde ihn alle zu erwartenden Demütigungen mit Anstand hinnehmen lassen.

„Ich glaubte, für eine kleine Weile könnte ich das sein, was sie (die Mutter) sich wünschte. Ich glaubte, ich könnte ein hinlänglich feiner junger Mann sein, sie stolz zu machen, und doch genug von einem erwachsenen Negergör, um die andern (die Weißen) nicht zu beunruhigen… Wenn ich es nicht fertigbrachte, dorthin zurückzukehren und die Belastung, nicht für voll genommen zu werden, drei kurze Monate lang zu ertragen, dann hatte ich letzten Endes in diesen fünf Jahren nicht viel gelernt…”

Aber da ist die achtzehnjährige Louise Mayfield, William vertraut aus seiner Kinderzeit und jetzt ein verführerisch schönes junges Mädchen. Die beiden treffen sich ein einziges Mal abends im Park, und im Augenblick, als Edwards ihre Hand nimmt, kommt ein Verehrer Louises hinzu. Damit ist Williams’ Schicksal besiegelt. Ihm wird der Prozeß wegen „Vergewaltigung” einer Weißen gemacht, ein Prozeß, dessen Ausgang, da er in Mississippi geführt wird, von vornherein feststeht, auch ohne die falsche Aussage der schwangeren Louise, die in ihrer verzweifelten Lage zu dem schrecklichen Ausweg der Beschuldigung Williams’ greift, der zum Tode durch den elektrischen Stuhl verurteilt wird.

Lowrey kommt es nicht in erster Linie darauf an, an Hand des Prozesses die Abgründe des menschlichen Herzens aufzudecken, sondern auf die Haltung des Angeklagten, der jede Aussage zu seiner Entlastung verweigert. Edwards ist nicht schuldig im Sinne des ihm vorgeworfenen Deliktes, nicht schuldig im Sinne des Gesetzes. Aber er spricht sich selbst schuldig in einem viel tieferen Sinn und auf einer anderen Ebene als die ihn anklagende Gesellschaft. Er liebt Louise, und er weiß, daß das, was nicht geschehen ist, doch hätte geschehen können. Er sieht seine Schuld im Ueberschreiten einer Grenze, die, ob gerecht oder ungerecht, sinnvoll oder sinnlos, in Mississippi nun einmal besteht. Das kommt erschütternd zum Ausdruck in einem letzten Gespräch mit Steve Lamont, „dem einzigen Weißen aus Mississippi, der noch etwas anderes in mir gesehen hatte als einen Nigger …”, der Edwards versteht und die vielschichtigen Hintergründe der Tragödie sieht, weil er selbst ein Südstaatler ist. Steve sagt Edwards, daß er hätte fliehen müssen.

„ ,Nein’, sagte ich. .Einmal hätte ick es fast vergessen, aber ich bin ein Neger.” .Eben deshalb hättest du fliehen sollen!” sagte er. .Aber gerade deshalb tat ich es nicht.” .Dann weißt du, daß du schuldig bist! Wenn du bei der Flucht geblieben wärest, hättest du gewußt, daß du es nicht warst, und dann wärest du es auch nicht gewesen, doch du kehrtest um! Du fordertest sie auf, dich zu töten, Bill. Du fordertest sie auf! Du hättest fliehen sollen!” .Vielleicht hätte ich es tun sollen”, sagte ick. .Vielleicht wußte ich sogar, daß ich es hätte tun sollen. Doch das Wissen genügte nicht. Ich bin hier geboren, Steve, und ich bin nicht als Weißer geboren.” “

Diese Aspekte scheinen zunächst wenig tröstlich. Und doch triumphiert in Lowreys Buch letztlich die Macht der Ohnmächtigen. Er schürt nicht den Rassenhaß. sondern ruft alle Teile zur Verantwortung auf. Damit dient er besser der Liquidierung billiger Vorurteile und schändlicher Ungerechtigkeiten als jene Hetzschriften, die sich des Problems immer nur einseitig annehmen.

Lowrey hat sein großes Thema auch künstlerisch vollendet bewältigt. Er schildert das ganze Geschehen als Rückblick des Verurteilten in der Nacht vor seiner Hinrichtung. Die Handlung läuft aber nicht kontinuierlich fort, ebensowenig wie die feste Ordnung von Zeit und Raum eingehalten ist. Wesentliche Geschehnisse tauchen immer wieder auf, jeweils von einem neuen Blickpunkt eingeblendet. So können verschiedene Standpunkte entwickelt und abgewogen, die Gründe und Hintergründe der Ereignisse entlarvt, Scheinwahrheiten mit der Wahrheit konfrontiert werden. Aber auch rein von der Form her ist diese Erzählweise höchst interessant.

Leider ist die Uebersetzung des Buches schwerfällig und wenig prägnant, wie schon unsere Zitate zeigen. Allerdings könnten wir uns vorstellen, daß die Unklarheit teilweise schon im Original vorhanden ist.

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