Bled - Die berühmte Insel im Bledersee mit Kirche. - © Foto: iStock/Pedro Costa Simeao (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Gehäutetes Land: Wie Slowenien zu sich selbst fand

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„Slowenien ist für mich erst Slowenien geworden“: Erinnerungen eines Grenzgängers an das Land „auf der Sonnenseite der Alpen“, das bis 1991 frank und frei Jugoslawien war.

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„Slowenien ist für mich erst Slowenien geworden“: Erinnerungen eines Grenzgängers an das Land „auf der Sonnenseite der Alpen“, das bis 1991 frank und frei Jugoslawien war.

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War ich als Jugendlicher nach Ljubljana oder Piran unterwegs, war ich auf dem Weg nach Jugoslawien. Meine erste bewusste Reise in dieses – heute befreundete – EU-Ausland führte nach Bled. Die Reise liegt mehr als fünf Jahrzehnte zurück, der Eindruck hat sich jedoch verfestigt. Noch heute sehe ich eine Idylle vor mir, die Insel im Bleder See und die mächtige Burg am Hügel darüber. Auch die Impression, ich sei in eine frühere Zeit zurückversetzt, wurde in fünf Jahrzehnten nicht weggeweht. Tatsächlich war „in Jugoslawien“, mag es auch das slowenische Bled gewesen sein, alles etwas älter als am heimatlichen Klopeiner See/ Klopinjsko jezero oder in meinem Bildungsort Klagenfurt/Celovec.

In Bled oder Ljubljana war alles weniger polychrom, fast grau. Die Bekleidung der Frauen und Männer war weniger modisch und die Autos, die durch die Straßen tuckerten, waren in Jugoslawien mit Lizenz hergestellte Fiat-Nachbauten, stinkende DDR-Wartburgs und quirlige NSU-Prinzen. Ein Bonzen-Mercedes war selten zu erblicken, ein Porsche oder gar Ferrari war auf der Tito-Straße in Ljubljana undenkbar. Trotzdem war es eine nahezu fröhliche „Calamari-und-Ćevapčići-Republik“.

Für die „jugoslawischen Slowenen“ war bezeichnend, dass sie sich mehr leisten konnten als ihre südlicheren Schwestern und Brüder. Sogar ein Skiurlaub in Bad Kleinkirchheim konnte gebucht und genossen werden. (Freilich waren damals die Schneelage im Herzen der Kärntner Nockberge und vor allem die Preise für Lift und Übernachtung noch andere. Wie auch immer, der „slowenische Slowene“ könnte sich Bad Kleinkirchheim heute noch eher leisten, bevorzugt jetzt aber Mondäneres.)

Schuften im Nachmittagsgewerbe

Die Slowenen konnten „sich mehr leisten“, weil die Wirtschaftslage in dieser Teilrepublik eine viel bessere war und in fast jeder Familie zumindest ein Mitglied der „popoldanska obrt“, dem sogenannten Nachmittagsgewerbe, nachgegangen ist. Das heißt, im volkseigenen Betrieb hat man fleißig ab sechs oder sieben Uhr und bis längstens vierzehn Uhr sozialistisch geschuftet und danach hat man sein Potenzial im Fach seines Könnens kapitalistisch ausgeschöpft.

Ich bin seit Langem Schriftsteller und habe schon im Gymnasium einen kleinen zweisprachigen, deutsch-slowenischen Gedichtband veröffentlicht. Dadurch bin ich bald mit zentralslowenischen Dichtern, Lektoren, Übersetzern und vermeintlichen Nobelpreiskandidaten in Kontakt gekommen. Eine dieser frühen Bekanntschaften war Redakteurin beim Fernsehen in Ljubljana und wollte dem Nachmittagsgewerbe in Österreich nachgehen. Die kompetente Dame habe ich noch zu jugoslawischen Zeiten mit einem Verlag in Klagenfurt in Kontakt gebracht, und sie hat bis zu ihrem frühen Tod dem Haus, das sie auf Honorarbasis beschäftigt hat, den ersten professionellen Touch beigebracht.

Ab dem 23. Dezember 1990 gingen die jugoslawisch-slowenischen Uhren anders. An diesem Tag wurde ein „Plebiszit über die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der Republik Slowenien“ durchgeführt. An diesen Sonntag kann ich mich gut erinnern. Das österreichische Parlament hat mich als juristischen Begleiter einem Abgeordneten zum Nationalrat beigeordnet. Die Sloweninnen und Slowenen haben sich mit großer Mehrheit für die Selbstständigkeit entschieden.

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