Von Fakern und Höllensern

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"Ärgern Sie sich 2018 nicht grün und blau und schon gar nicht türkis und blau. Nehmen Sie etwas Andorn. Der hilft gegen alle Arten der Verschleimung."

Das Unbewusste hat im wahrsten Sinn gemeinhin einen schlechten Ruf. Es wird seit Freud viel zu oft mit scheinbar schmutzigen Wünschen und Trieben verbunden, die sich auf die eine oder andere Art Durchbruch verschaffen und von der Zivilisation nicht gerne gelitten sind. Aber es ist auch ein großartiger Spielplatz für künstlerische und visionäre Intuition. Mein Kollege mit dem Künstlernamen "Professor Tauss" hat davon schon so manches Lied gesungen. Das gilt auch für das, was man das kollektive Unbewusste nennt, wenn also das Unbewusste aller sich irgendwie in ähnlichen oder einander gleichenden Aktionen manifestiert - und sich mit diesen oder jenem "Zeitgeist" verbandelt. Von solchen Geistern getrieben, wollen dann sehr viele Menschen das Gleiche, sie lassen Moden entstehen und Bevorzugungen. Wirtschaftlich ist das ja äußerst wertvoll, wenn man die Zeichen der Zeit erkennen kann.

Dann essen alle plötzlich gerne koreanisch oder japanisch und keiner weiss so recht, warum oder warum erst jetzt. So ähnlich geht es beispielsweise mit dem Wein und mit den Haustieren. In einem Jahr trinken alle hektoliterweise "Gelben Muskateller" und der städtische Tierliebhaber kauft sich einen herzigen Kampfhund und nennt ihn "Bomber". Andernjahrs ist der "Muskateller" als Frauenwein verschrien und der Grüne Veltliner der bevorzugte Leberschreck. Und was die Hunde betrifft, so beherrscht ja derzeit der in der Handtasche zitternde Chihuahua "Bibi" mit seinen Segelohren das Straßenbild.

All das könnte natürlich etwas mit einer aktuell herrschenden politischen Kultur zu tun haben, aber wer wollte schon dem Chihuahua mit allzu politischen Vergleichen Unrecht tun. Nur soviel: Es haben so manche von angeblichen Reformgiganten angekündigte Regierungsprogramme sehr bequem in ein Handtäschchen gepasst.

FAKER UNTER FREIEM HIMMEL

So geht also kurz zusammengefasst "Zeitgeist", dass plötzlich alle irgendwie sehr treffend auf den Punkt kommen. Wir wollen im Folgenden mit den Tieren und Pflanzen des Jahres 2018 probieren, den kommenden Geist der Zeit zu erkennen. Denn diese Wesen haben ja aufgrund ihrer Auswahl durch die entsprechenden ornithologischen oder botanischen Organisationen vielleicht auch etwas über unser kollektives Unbewusstes auszusagen. Wir beginnen dabei mit einem geradezu unglaublichen Tier, das die Welt durch seine Kunst, Laute und Melodien fälschend nachahmen zu können, immer wieder erstaunt. Der Jahresvogel Star passt geradezu wie die Faust aufs Auge zu Fake-News. Unlängst geschah es, dass ein Nachbar meinte, seinen Hund bellen zu hören, worauf er ihn eindringlich aufforderte, jetzt still zu sein. Als Antwort pfiff der vermeintliche Hund das inbrünstige"Hoits zomm, Trouttel" wie ein Papagei vom Baum zurück, ehe er als Star enttarnt entflatterte. Das ist natürlich nur Gärtnerlatein. Aber tatsächlich gibt es Aufnahmen von Staren, in denen täuschend ähnlich Alarmanlagen, fallende Tropfen, Babygeschrei, Katzenmiauen oder Opernmelodien zum Besten gegeben werden. Der Star hat auch durchaus Menschliches, wenn es um das Habitat an sich geht. Denn zunächst ist er ein Schwarmvogel, der gerne mit seiner Familie in seinem Brutkasten alleine ist.

Gesellig allerdings ist er eben auch, und dann wird er, trunken von den anderen Kumpanen und Gesellinnen, zur echten Landplage. Tagaus, tagein am Weinstock und vom Rebensaft zu trinkend, versammelt er sich abends und nachts krähenhaft schnatternd im Baum. Solche Starenparties mit ihren Lärmdecken sind kilometerweit zu hören und haben Anrainer bereits zu versuchten Vogelmördern werden lassen. Und Winzer erst!

Es könnte also ein Jahr des Fälschens und Tarnens werden und das bei größtmöglicher Lärmbelastung. Das passt vermutlich: Immerhin werden in den USA die Midterm-Elections sein, in Russland gibt es Wahlen und Deutschland braucht eine neue große Koalition, deren Programm sich aber gewaschen haben muss, wenn es von relativ frustrierten Wählern akzeptiert werden soll.

In Österreich könnte ganz unstarhafte Klarheit entstehen, indem sich zeigte, dass das nichtige Rauchverbot keine inhaltsleere "Nebelgranate" war, die von irgendwelchen sensationellen Leuchtturm-Bauherren zur Ablenkung geschaffen wurden. Sondern, dass diese Revision ein wertvoller Bestandteil eines äußerst wenig ambitionierten Programms ist.

Auch die weiteren Jahresregenten haben in dieser Hinsicht einiges zu sagen. Etwa, wenn es um zu haltende Wahlversprechen geht, wie Donald Trumps: "Ich baue dir eine Mauer, Amerika". Das Blümchen des Jahres erinnert jedenfalls an gebrochene Schwüre: Der Ehrenpreis, der wilde Bruder des Vergissmeinnichts, wird der Braut nach alter Tradition ums Hälschen gehängt und soll die Treue des Verlobten garantieren. Die Blütenblättchen des Blümleins aber fallen so rasch wie die männliche Verlässlichkeit. Immerhin gilt vielleicht auch für Politiker folgende Überlieferung: Wer den Ehrenpreis pflückt und untreu wird, muss viele Gewitter erwarten -Herr Trump vielleicht schon im Herbst.

HÖLLENSER UND PARADEISER

Auf der Liste der Giftpflanzen des Jahres findet sich eine Pflanze, die die unsteten Charakter unserer Zeit an der eigenen Historie beschreiben kann. Die Tomate, auch bekannt als Paradeiser oder goldener Apfel (Pomodoro). Sie hatte lange einen üblen bis verruchten Leumund, und hätte eigentlich das Gegenteil von Paradeiser heißen müssen: Höllenser also. Denn die einen meinten, die giftigen Alkaloide ihrer Stengel machten Hexen flugfähig. Die anderen erregten sich an der Fantasie, die rote Frucht sei ein Aphrodisiakum, das Damen gefügig machen würde. Einen besonderen Hang zur Tomaten-Minne soll übrigens der berüchtigte französische Kardinal und Schwerenöter Armand-Jean Herzog von Richelieu gehabt haben.

Erst Ende des 17. Jahrhunderts, vielleicht auch aufgrund neuer Arten der Frauenbetörung (zum Beispiel Charme statt Salben), wurde der Paradeiser als Nahrungsmittel entdeckt. Wer dazu wirklich nützliche Informationen will, sollte sich bei unserem Artdirektor und Koch-Titan Dario Santangelo informieren, Autor des Klassikers "Neapel sehen und genießen"(siehe auch rechte Kolumne!). Denn dort, in Neapel, wurde aus der Hexenpflanze tatsächlich eine Delikatesse.

Aus dem Gesagten lässt sich nun der Sukkus ableiten: Ärgern Sie sich 2018 nicht grün und blau und schon gar nicht türkis und blau. Wenn Sie aber doch einmal der Ärger überkommt und der Tonus steigt, eilen Sie zum Kräuterschrank und helfen Sie sich mit etwas Andorn. Es ist dies die Heilpflanze des Jahres und sie hilft gegen Beschwerden der Galle und gegen alle Arten der Verschleimung. In diesem Sinne: Frohes Fest und Gutes Jahr!

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