superheld 1 - © Foto: iStock/RyanJLane (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Weit und breit kein Vater

19451960198020002020

Der zweite Sonntag im Juni ehrt seit 67 Jahren die Papas. Ebenso lange wird darüber diskutiert. Über fehlende und neue Helden – und wie der Opa Abhilfe schaffen kann. Ein persönlicher Essay.

19451960198020002020

Der zweite Sonntag im Juni ehrt seit 67 Jahren die Papas. Ebenso lange wird darüber diskutiert. Über fehlende und neue Helden – und wie der Opa Abhilfe schaffen kann. Ein persönlicher Essay.

Werbung
Werbung
Werbung

Den Vatertag gibt es in Österreich seit 1956. Damals war ich sechs Jahre alt. Aber weit und breit kein Vater in Sicht. Das blieb so. Also habe ich den Vatertag niemals gefeiert. Ich weiß nicht, ob ich mich als Heranwachsender hätte bedauern sollen, vor allem wegen meiner Klassenkollegen, die mit ihren Vätern protzten. Was diese alles konnten und wie viel sie verdienten! Ihre Sprösslinge bekamen nicht bloß ein Butterbrot zur Jause mit, sie hatten stets reichlich Taschengeld, und mit dem Papa durften sie tolle Ausflüge machen … Ich habe meinen Vater nur einmal kurz getroffen, er spendierte mir eine heiße Schokolade, ich war froh, dass ich mir nicht den Gaumen verbrannte.

Später habe ich dann von Familiendramen gehört und gelesen, in denen Väter verbissen um ihren Sohn kämpften, während sie Anwälte engagierten, um, gegen den Willen der Kindesmutter, ein Obsorge- oder Besuchsrecht zu erhalten. Da erst wurde mir vollends bewusst, dass ich mich jedenfalls nicht im Nachteil befand gegenüber jenen, die das Schnulzenstück „Vater, Mutter, Kind“ vor ihren Freunden und Bekannten bei jeder Gelegenheit zur Aufführung brachten. Mama hin und Papa her, ich hingegen: ohne Vater, auch gut!

Der Traum vom Superhero

Weshalb sage ich das? Weil ich, nachdem ich mehrfach Vater geworden war, mir immer innigst wünschte, dass meinen Kindern niemals in den Sinn käme, sich vorzustellen, dass es gut sein könnte, keinen Vater zu haben. Erst selbst Vater geworden, überkam mich der Vaterstolz. Und die Vaterliebe. Ich würde meine Kinder stets liebend umsorgen, egal, wie sie sich entwickelten und was sie anstellen mochten – so wie ich von meinen Kindern geliebt werden wollte, auf dieselbe unbedingte Weise, wie ich sie liebte. Und nun darf ich hoffen, dass mein Wunsch in Erfüllung ging.

Stets rührt es mich fast zu Tränen, wenn Bruce Willis (der mittlerweile leider an Demenz leidet) in einem seiner Actionkracher von seiner halbwüchsigen Filmtochter, die er am liebsten zu Hause für immer vor den bösen Jungs weggesperrt hätte, scheinbar tief verachtet, ja als asshole beschimpft wird – bis er sie, beim nervenzerfetzenden Finale des Films, auf heldenhafte Weise aus den Fängen irgendwelcher Bösewichte errettet, woraufhin das Tochterherz ihm um den Hals fällt: „Oh daddy! You’re the best, Ilove you!“

Ich glaube, dass viele Väter ihren Kindern gegenüber nur allzu gerne Superhelden sein möchten und dass sie darunter leiden, eine zivile Existenz zu führen, von der ihr Nachwuchs nur weiß, dass sie als junge Heißsporne gerne „etwas ganz anderes“ gemacht hätten. Unter solchen Umständen ist es eine Art Ersatztrost, wenn die Kinder – angefeuert von der Mama – mit ihrem biologischen Erzeuger den Vatertag feiern.

Die von Vatertagskritikern gebetsmühlenartig wiederholten Argumente sind bestens bekannt:Jawohl, der Nachwuchs hätte nie das Licht der Welt erblickt, wenn nicht der väterliche Samen in einer Liebesnacht (und manchmal nur in vitro, so eben sind die modernen Zeiten) seinen Beitrag geleistet hätte; aber das ist kein Grund, den Samenspender zu feiern, oder?

Ferner, der moderne Vater nimmt, falls er nicht ein schlimmer Reaktionär oder, schlimmer noch, ein scheinliberaler „Abseiler“ ist, an der Erziehung und am Wohlergehen seiner Kinder aktiv teil; aber das ist von Gesetzes wegen ohnehin seine Pflicht, oder?

Bleibt, gleichsam als menschlicher Überschuss, die väterliche Liebe, die in den Nachwuchs „investiert“ wird (so liest sich’s tatsächlich bei ökonomisierenden Autoren über die Kinderaufzucht); aber wenn die Liebe erst „investiert“ werden muss, dann ist sie schon keine echte Vaterliebe mehr – und dann mutet es patriarchal an, von der „Frucht meiner eigenen Lenden“ zu erwarten, dass sie vatertägliche Liebe verströmt, oder?

Neue Rituale, alte Muster

Nach diesem dreifachen rhetorischen „Oder?“ der Vatertagsskeptiker darf nun jedoch ein viertes, gleichsam am Puls der Zeit, nicht verschwiegen werden: Wir leben in der Epoche des Genderdiskurses, in dessen Zentrum die LGBTQ*-Maxime steht, oder?

LGBTQ*-Maxime steht, oder? Das Geschlecht ist, sozial betrachtet, nichts Feststehendes, sondern andauernd Fließendes. Das sollten die lieben Kleinen so bald wie möglich erfahren. Der Liebe werden solcherlei Umstände gewiss nichts anhaben können, obwohl die sprachliche Seite der Angelegenheit erhebliche Schwierigkeiten bereitet: „Vatertag“? Es mag der Fall sein, dass Papa aus seinem femininen oder geschlechtsunbezüglichen Wesen kein Hehl macht, sondern eine Tugend. Und da soll er dann, als ein feiertäglich gegendertes Femininum oder etwas annähernd Ähnliches – vielleicht in eroticis überhaupt Neutrales –, die Vatertagswünsche seiner Kinder entgegennehmen, die gendermäßig auch schon irgendwohin fließen oder geflossen sind?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung