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Aus der Frühzeit der Oper

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Am Ende der ersten Musikfestwoche hatte sich der neuadaptierte und akustisch verbesserte Große Konzerthaussaal in ein Theater, das Podium in eine Opernbühne und das normale symphonische Orchester in ein farbig differenziertes, nobel gedämpftes Monteverdi-Ensemble verwandelt. Denn Paul Hindemiths musikalischer „Versuch einer Darstellung in der ursprünglichen Form" (wie der Untertitel seiner Bearbeitung lautet) wurde durch die Inszenierung Leopold Lindtbergs, die Choreographie Rosalia Chladeks und die Bühnenbilder Sepp Nordeggs ergänzt, so daß die Besucher dieser Aufführung, die ohne Uebertreibung als eine musikhistorische Tat bezeichnet werden kann, eine konkrete Vorstellung von einer Opernaufführung zur Zeit Monteverdis empfingen.

Mit großer Mühe und nach monatelanger Vorbereitung war es Hindemith, durch eifrige Wiener Freunde der alten Musik unterstützt, gelungen, das von Monteverdi in der gedruckten Partitur von 1607 bzw. 1615 angegebene Orchester zu rekonstruieren. Aus dem Stift Lambach hatte man ein italienisches Regal von 1556 entliehen, ein Wiener Orgelbauer hatte eine Kopie des Instruments in der Silbernen Kapelle zu Innsbruck eigens hergestellt, Violen und Gamben stammten aus der Sammlung Harnoncourt in Wien, Barockgeigen aus dem 18. Jahrhundert und doppel- chörige Lauten vereinigten ihren Klang mit alten Flautini und Positiven. Nur auf die allzu grellen und schwer spielbaren Zinken mußte man verzichten, und doppelchörige Harfen gibt es nicht mehr. .. Dieser farbig-zarte und hochverfeinerte Klang unterscheidet sich von dem des klassisch- romantischen Orchesters vor allem dadurch, daß seine Grundtönung nicht mehr durch das Streicherensemble bestimmt ist, sondern fast kaleidoskopisch wechselt und zuweilen an fernöstliche Ensembles erinnert. Dieser „Effekt", der keineswegs als solcher beabsichtigt war, sondern durchaus der Aufführungspraxis der Monteverdi-Zeit entspricht, war nur durch einen schöpferischen Musiker zu verwirklichen, der sich nicht darauf beschränkte, Monteverdis sehr lückenhafte Partitur philologisch zu rekonstruieren. Im gleichen Geist, unter der musikalischen Leitung Paul Hindemiths und des Regisseurs Leopold Lindtberg, sangen auch die aus fünf Ländern herbeigeholten Solisten (Gino Sinim- berghi, Uta Graf, Patricia Brinton, Mona Paulee, Waldemar Kmentt, Anna Maria Iriarte und andere) sowie der Chor der Wiener Singakademie. Und ebenso hatte sich die diskrete Choreographie Rosalia Chladeks sowie die Bühnenbilder und Kostüme diesem Stil angepaßt. Das festlich gestimmte, sichtlich beeindruckte Publikum dankte mit gewaltigem Applaus.

Eine ganze Welt liegt zwischen Monteverdis Meisterwerk und Handels Oratorienoper „Julius Cäsa r", die von der Wiener Staatsoper in der Inszenierung O. F. Schuhs mit den Bühnenbildern Caspar Nehers und unter der musikalischen Leitung Karl Böhms als Beitrag zu den Wiener Festwochen 1954 herausgebracht wurde. Die klangliche Realisierung der Partitur ist heute nicht mehr problematisch, dagegen gibt es bezüglich der „richtigen" oder empfehlenswerten Inszenierung der Händel-Opern verschiedene Meinungen. Hören wir darüber den Spielleiter der Aufführung im Theater an der Wien: „Für Opern von Händel gibt es zwei Möglichkeiten der szenischen Realisation: eine historische Stilisierung im Geiste der Barockoper und eine gänzliche Transposition ins Moderne. Die Transposition ins Moderne mit den Mitteln einer vom Dekorativen losgelösten räumlichen Bühne aus Quadern, Schrägen und Podesten hat zur Zeit des Expressionismus einige Regisseure, in An lehnung an die Stilprinzipien der Kunst von Mary Wigman und Rudolf Laban, gefunden. — Der historisierende Stil ist . ein dekorativer und theatralischer, und in der Neuinszenierung von Julius Cäsar’ haben wir uns zu diesem entschlossen Die Historie ist nur ein Vorwand zu theatralischer Entfaltung. Demgemäß werden Figuren nicht psychologisch begründet, sondern nur typenmäßig wiedergegeben. Die Festlichkeit findet ihren Ausdruck in großen Dekorationen mit Erinnerung an die Epoche Galli-Bibienas." Es bleibt in diesem Falle dem Kritiker nichts zu tun übrig, als all den hervorragenden Künstlern, nicht zuletzt dem auserlesenen Sängerensemble (Schöffler, Seefried, Höngen, Dermota, Frick, Berry und Pröglhöf), zu bestätigen, daß ihnen, was sie anstrebten, vollkommen gelungen ist und daß diese Neuinszenierung als die beste dieser Spielzeit gewettet werden kann. Helmut

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