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Neue Musik — exakt protokolliert

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„Wo, in welcher Stadt, ist es möglich, zehn Tage hintereinander ebenso viele Konzerte mit den neuesten der neuen Werke zu veranstalten und dafür einen solchen Saal und dazu ein derart animiertes und interessiertes Publikum zu haben? In Wien am allerwenigsten, und in einer anderen Stadt Österreichs erst recht nicht!“ Dieser Satz fiel Freitag abend bei einem Empfang in der Neuen Galerie in Graz, unmittelbar nach dem fünften Konzert des „Musikprotokolls“, das im Rahmen des „Steirischen Herbstes“ im Stefaniensaal stattgefunden hatte. Man diskutierte über die vier Abende davor, man sprach über die eben aufgeführten Werke von Leitermeyer und Bergamo, man war paff vor Staunen über die Anteilnahme und die Reaktionsfreudigkeit des Publikums. Und der, der diesen Satz aussprach, war niemand anderer als Walter Klien, der kurz davor den Solopart des Schönberg-Klavierkonzertes gespielt hatte. Und einige Wiener um ihn herum nickten ihm betrübt und freundlich zu.

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„Wo, in welcher Stadt, ist es möglich, zehn Tage hintereinander ebenso viele Konzerte mit den neuesten der neuen Werke zu veranstalten und dafür einen solchen Saal und dazu ein derart animiertes und interessiertes Publikum zu haben? In Wien am allerwenigsten, und in einer anderen Stadt Österreichs erst recht nicht!“ Dieser Satz fiel Freitag abend bei einem Empfang in der Neuen Galerie in Graz, unmittelbar nach dem fünften Konzert des „Musikprotokolls“, das im Rahmen des „Steirischen Herbstes“ im Stefaniensaal stattgefunden hatte. Man diskutierte über die vier Abende davor, man sprach über die eben aufgeführten Werke von Leitermeyer und Bergamo, man war paff vor Staunen über die Anteilnahme und die Reaktionsfreudigkeit des Publikums. Und der, der diesen Satz aussprach, war niemand anderer als Walter Klien, der kurz davor den Solopart des Schönberg-Klavierkonzertes gespielt hatte. Und einige Wiener um ihn herum nickten ihm betrübt und freundlich zu.

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AU dies klang nach einer Pausenreminiszenz. Denn das „Musik- protokoU“ ist bei seiner Halbzeit angelangt. Man darf ein wenig rückschauen, sondieren, eine kleine, unverbindliche Zwischenbilanz ziehen, ein bißchen Spreu vom Weizen scheiden und die stärksten Eindrücke herausheben.

Einer der stärksten war gleich am ersten Abend zu registrieren, besser: zu empfangen, und zwar von der lüstimmigen Motette „Lux aetema“ von György Ligeti, der die menschliche Stimme zu objektivieren, ja zur Nachbarschaft elektronischer Klänge hin zu verfremden versteht, ohne der Poesie zu entraten, ohne den Geist sakraler Kunst zu verletzen. In dieser a cappella geschriebenen Communio aus der Totenmesse wird ästhetischer Reiz, gewonnen aus diskretem Spiel mit dem musikalischen Material, mit der menschlichen Stimme und mit der Bewegung von Formen, zu erregender Un-, um nicht zu sagen Übersinnlichkeit sublimiert. Ein Werk, in sich geschlossen, das später einmal Zeugnis geben wird von der Musica sacra, komponiert anno 1966.

Eine Kfenek-Motette („Aegrotavit Ezechias“) wirkte am selben Abend eher peinlich-sentimental, die Uraufführung einer Messe für Chor und Instrumente von Erich Marckhl ließ bis zum Agnus Dei auf Substanz warten. Und Luigi Dallapiccolas Sacra Rappresentazione „Hiob“ hatte, gemessen an ihrer Länge, mehr Sprechen und Sprechchöre an- zubieten als Musik. Diese freilich wies in gewaltigen Einwürfen den großen Italiener als Expressionisten der Dodekaphonie aus.

Am zweiten Abend musizierte das Bartök-Quartett aus Budapest Ko- daly, Bartök und dazwischen das II. Streichquartett des 35jährigen Budapesters Istvan Lang. Seine österreichische Erstaufführung ließ ein musikantisches Temperament erkennen, dem sich handwerkliche Solidität und genaue Kenntnis bi- und polytonaler Spielregeln verbinden. Etwas kurzatmige Einfälle werden durch heftigen Rhythmus und Wiederholungen zu größeren Formen hinauflizitiert.

Der dritte Abend, vom Collegium musicum instrumentale der Grazer Akademie unter Max Heider gestaltet, hatte in Thomas Christian Davids uraufgeführtem Konzert für Gitarre und Streichorchester ein überaus gehalt- und stimmungsvolles Werk neoklassizistischer Prägung aufzuweisen, dem freilich im zweiten (und zugleich letzten) Satz ein allzu jähes Ende gesetzt wird. Paul Angerers Konzert für Viola da Garnba, Streichorchester und Schlag

zeug, als österreichische Erstaufführung dargeboten, darf als liebenswürdiger Beitrag österreichischen Musikantentums gewertet werden, mit ebenso leichter wie kundiger Hand geschrieben und instrumentiert. rasch ins Ohr hinein und wieder aus ihm heraushuschend. Die zweite österreichische Erstaufführung dieses Abends des Linzers Helmut Eder „Nil admirari“ betitelte Komposition op. 46 für Orchester, erwies sich als untauglicher, weil grobschlächtig ausgeführter Versuch, nach Webern-Muster einen Muster- Webern zu schreiben. Mußte er denn?

So kam die für Österreich ebenfalls neue „Ode an die Musik“ des 83jährigen Egon Wellesz, ein kurzes, aber einprägsames, nach Pindar und Hölderlin in verhaltener hymnischer Expression geschriebenes Stück, zu doppelten und dreifachen Beifallsehren.

Die Kroaten am nächsten Tag, dem vierten im Protokoll, brachten außer den Ausführenden (Kammerorchester Radio-Televizija Zagreb unter KreSimir Šipuš und drei Solisten) auch fünf Uraufführungen mit,

von denen drei nachhaltigen Eindruck machten: Dubravko Detonis geheimnisvoll aufleuchtende, manchen Instrumentenklang behutsam ummünzende „Formen und Flächen“, Krešimir Sipuš hochromantischexpressive, freie Reihentechnik nicht verschmähende „Verklärungen“ für Solostimme und Orchester und, als stärkstes, mitreißendstes Werk, die „Taches“ für Klavier und Kammerorchester von Stanko Horvat, eine köstliche Kombination von instrumentalen Verfremdungseffekten mit den Wirkungen motorisch vorangetriebener polytonaler Musik ä la Strawinsky oder Prokofleff.

Der fünfte Abend, zu Beginn in diesem Bericht bereits gestreift, stellte durch das Große Orchester des österreichischen Rundfunks und mit Walter Klien und Miltiades Cari- dis als Pianisten beziehungsweise Dirigenten den Spliter Petar Bergamo mit einer „Musica concertante“, op. 7, und den Wiener Friedrich Leitermeyer mit der Uraufführung seines Konzertes für Trompete und Orchester, op. 37, vor. In unmittelbarer, eher erdrückender Nachbarschaft für die beiden Zeitgenossen wurde Schönbergs Klavierkonzert op. 42 und Bartoks „Wunderbarer Mandarin“ musiziert, über die Maßen vortrefflich. Vom Interpretationsmaß her war das Konzert dank einer brillanten Leistung des Großen Orchesters des österreichischen Rundfunks das beste bisher im „Protokoll“.

Sonst freilich Doch über Petar Bergamos so übersichtliche wie lautstarke Musica concertante gab es immerhin Diskussion und Streit. Es geht nicht unlaut zu in dem Stück.

Es wird auch weiterhin Diskussionen geben. Noch ist das Protokoll nicht geschlossen. Wir treffen einander wieder.

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