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ÖSTERREICH IN PRAG

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Im Jahr 1918 hat sioh die k. k. Landeshauptstadt Prag gründlich entösterreichert, indem sie — bis auf einige kunsthistorische Bauten — den Habsburger Doppeladler und Denkmäler wie das des Kaisers Franz II. und des Grafen Radetzky entfernte, aber drei Jahrhunderte einer Schicksalgemeinschaft konnten nicht ganz ausradiert werden. Und wenn die Fahrer der vielen österreichischen Wagen, die man zur Zeit des Tourismus sehr häufig in Prag sieht, gründlich hinter die Fassadenoberfläche schauen, werden sie — abgesehen vom Bild Kaiser Franz Josefs I. im Schwejk-Lokal und der symbolischen Austria-Figur auf dem Nordwestbahnhof Tšėnov, die seit einem Jahrhundert mit Speer und Schild Handel und Gewerbe beschützt, vieles feststellen, das die nachbarliche verwandtschaftliche Atmosphäre erklärt.

Prag ist heute so hochinteressant, weil es als eine der wenigen Hauptstädte Europas seinen historischen Stadtkern treu erhalten hat. Es ist heute zwar nicht mehr nur das „Goldene Prag” und das „hunderttürmige Prag”, weil Verkehr und Industrie ebenso viel Schmutz und Schlote wie in andere Industriestädte gebracht haben. Die Moldau ist ebensowenig silberwellig wie die Donau blau. Prag hat aber vor Wien, Berlin, Moskau usw. einen Vorzug: seine geologische und historische Schichtung, die den Reiz seiner Lage und Atmosphäre ausmacht — ein Hindernis allerdings beim Bau der geplanten Untergrundbahn, die überall im Stadtinneren auf romanische und gotische Keller und Gänge stößt. Wir können diese Schichtung auch bei der Stadtdominante, der Kaiserburg feststellen: Auf dem Stockwerke der Premysliden bauten die Luxemburger, darüber die Jagellonen und zum Schluß glichen die Zubauten der Habsburger mit der Rokokofassade alles aus.

Diese Vielseitigkeit des städtischen Kulturlebens, das in der Vergangenheit eine tschechische, deutsche und jüdische Humusschichte aufweist, erklärt auch, warum Prag immer eine internationale Weltstadt war und eine so große Zahl von Schriftstellern hervorgebracht hat, die — deutschschreibend — vielfach zur österreichischen Literaturgeschichte gehören. Max Brod führt in seinem Buch „Der Prager Kreis” im ersten Kapitel „Ahnensaal” Komtessen aus Adelspalästen an: Die Gräfin Kinsky, bekannt als Berta von Suttner, und die Gräfin Dubsky, bekannt als Ebner-Eschenbach. Hat aber nicht auch Adalbert Stifter vor 100 Jahren Prag besucht, um dort Quellen zu seinem Witiko zu studieren? Hat nicht der Wiener Ferdinand von Saar als Wachtofflzier auf der Vyšehrader Zitadelle seine erste Novelle „Innocens” konzipiert? Hat nicht Franz Grillparzer vor 140 Jahren schon auf seiner Durchfahrt nach Deutschland das Stadtpanorama und die Schönheit der Prager Frauen bewundert, Ideen zu seinem „Bruderzwist im Hause Habsburg”, zur Libussa und Drahomira gesammelt, nachdem der feststellen mußte, daß auch seine „Ahnfrau” mit dem Schauerroman „Die blutende Gestalt mit Dolch und Lampe oder die Beschwörung im Schlosse Stern bei Prag” zusammenhängt? Wenn wir heute durch die Straßen gehen, so erinnern wir uns in der Judenstadt an den Wiener Golemautor Gustav Meyrink, auf den Friedhöfen an den österreichischen Militärschüler Rilke, den Autor der Larenopfer, an viele Stellen bei Franz Kafka, Franz Werfel, Max Brod, Egen Erwin Kisch und F. C. Weiskopf.

Denn ihre Jugend fällt in die Zeit der österreichischen Monarchie und Jugendeindrücke pflegen die stärksten zu sein. Diese Atmosphäre, in der vor der k. k. Statthalterei und adeligen Palästen der Kleinstädte und des Hradschins kafka- eske Türsteher in feierlichen Schwarztrachten mit Goldknaufstäben standen, ist unwiderruflich vorbei, aber dennoch entströmt diesen Palais, wo heute Gesandtschaften und Zentralämter amtieren, noch der Hauch der barocken Bauperiode. Haben doch vielfach Österreicher an dieser Pracht mitgebaut, wie Fischer von Erlach am Clam-Gallas-Pälais in der Husgasse und jener Benedikt Rejt oder Beneš aus Louny genannte Architekt, der als einfacher Festungsbauer Benedikt aus dem österreichischen Ried kam und hier ebenso Wurzel faßte wie später die bayrische Familie der Dientzenhofer. Unzählig wäre die Zahl der Maler und Bildhauer, die an der Prager Kirchenpracht mitgewirkt haben, die sich am Bau der vielen Landschlösser beteiligt haben und mit Dank vermerkt der österreichische Besucher der CSSR, daß die vorbildliche Denkmalspflege diesen oft bisher vernachlässigten Komplexen eine immer größere Sorgfalt widmet. Der österreichische Autoturist ist daher nicht enttäuscht, wenn er auf seinem Weg zur Hauptstadt auch in unbekannten Orten Rast machen kann, wo er zum Beispiel im südlich von Prag gelegenen Jemništė eine hervorragende Sammlung alter österreichischer Maler feststellen kann, im Seeschloß Orlik eine wunderbare Schwarzenbergsammlung besichtigen, in Konopište das Fer- dinand-d’Este-Haus besuchen und in Vrchotovy Janovice eine Rilke-Gedenkstätte entdecken kann. Viele Museen in Prag beweisen durch ihre historische Schau, daß 300 Jahre einer gemeinsamen Geschichte sich nicht ausradieren lassen.

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