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Purcell und Strawinsky

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Gegen Ende der Grazer Sommerspiele präsentierte ich — wegen des Schlechtwetters leider nicht im Schloßhof zu Eggenberg — das vielleicht bedeutendste künstlerische Ereignis der heurigen Festwochen: Purcells „Dido und Aeneas“ und Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“. So sehr auch der stilistische Gegensatz der an einem Abend gebotenen Werke problematisch erscheinen mag, so ist doch nicht zu übersehen, wie viel den beiden gemeinsam ist. In beiden Fällen dreht es sich inhaltlich um das Schicksal des heimkehrenden Kriegers, in beiden Opern finden wir den kommentierenden Chorus, beide Werke verlangen eine stilisierende, ort pantomimische und tänzerische Ausdeutung. Sie bezeichnen Entfaltung und Auflösung der musikdramatischen Kunstform/

Mit dieser Aufführung wurde der Jugend eine Chance gegeben: vom Dirigenten über die Regisseure bis zum letzten Choristen — lauter junge, begeisterte Leute. Wolfram S k a 1 i c k i, der auch die Bühnenbilder entwarf, gab der prachtvollen einzigen Oper des englischen Meisters zuchtvolle, ruhig-stilisierte Bewegtheit und übertrug das gebändigte Strömen der Musik auf Gebärde und Spiel. Eine wahre Freude waren die statischen Chöre mit den frischen, hellen Stimmen der Jugend des Grazer A-capella-Chores. Ulrich Baumgartner, der mit Stilgefühl und Reichtum an Einfällen so begabte Regisseur, inszenierte Strawinskys szenische Moritat, diese einzigartige Klitterung aus Märchen-Panoptikum und Opern-Kabarett als richtigen Marionettenzirkus. Miltiades C a r i d i s stand der „Zirkuskapelle“, dem kleinen Solistenensemble vor und geleitete es mit bewundernswertem Geschick durch alle rhythmischen und harmonischen Fährnisse der Partitur. So sehr der nach der Pause noch in barocker Festlichkeit schwelgende Zuseher durch den plötzlichen „Faust-aufs-Auge“-Gegensatz zuerst schockiert sein mochte, so wenig konnte er sich dann dem eigenartigen huä weniger der Handlung als der Strawinskyschen Musik-illustration und der szenischen Gestaltung entziehen.

Wie im Vorjahr, so wurden auch heuer wieder die Aufführungen von Claudel-Honeggers Oratorium „Johanna auf dem Scheiterhaufen“ zum denkwürdigen Erlebnis. Der Landhaushof gab die Folie ab für das Lied von Jeanne, dem Hirtenmädchen (in der innigen Darstellung durch Erika Berghöfe r), das zum Symbol eines Volkes wurde. Anton Lippe als Dirigent und Andre D i e h 1 als Regisseur ließen das Werk, ohne nach billigen Effekten zu greifen, zum großen modernen Mysterium und zur religiösen Aussage werden.

Um diese beiden großen Ahende rankte sich noch eine Reihe intimerer musikalischer Veranstaltungen. Das G e b e 1 - Ensemble aus Hamburg stellte die glückliche Stileintracht her zwischen dem im Licht zahlloser Wachskerzen schimmernden Eggenberger Prunksaal und der Kammermusik der Meister Tele-mann, Quantz und Stamitz. An demselben festlichen Ort sang das stilsichere Grazer Collegium musicum unter seinem Regens Franz 111 c n-b e r g e r eine Monteverdi-Messe. Chöre des frühen 17. Jahrhunderts und solche der zeitgenössischen Komponisten Marckhl und Doppelbauer. Während E. Marckhl über ungegenständliche Hölderlin-Texte zu abstrakter Aussage findet, sind Doppelbauers Motetten aus dem Hohen Lied, der Vorlage entsprechend, weit sinnlicher und von herber Klangschönheit.

Barock und Moderne — das war das unausgesprochene Motto der Grazer Sommerspiele von 1955. In diesem Jahr erscheint ein Niveau der Darbietungen in stilistischer und qualitativer Hinsicht erreicht, welches die aktive Beachtung nicht nur der Grazer Kunstfreunde, sondern derer ganz Oesterreichs und auch des Auslandes ehrlich verdienen würde.

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