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Ströme von Lava und Wissen

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IN DEN LETZTEN JAHRZEHNTEN hat der Zustrom zu den Universitäten auf der ganzen Welt enorm zugenommen. In Oesterreich, wie in vielen anderen Ländern, ist daher das Problem der Errichtung neuer moderner Hochschulgebäude akut geworden. In Europa hat man bereits in Paris, Madrid und Rom in großzügiger Weise ganze „Universitätsstädte“ gebaut, um alle Fakultäten auf einem Areal zu vereinen. In den USA gibt es schon seit langer Zeit die großen „Campus" der Colleges und Hochschulen, wo Studenten aller Fachgebiete wohnen und studieren. Im Campus gibt es auch Kino, Theater, Sportanlagen, Drugstores, ja oft kleine Fabriksanlagen oder Farmen.

Dem amerikanischen Beispiel folgend, hat man 1950 unter dem Präsidenten Miguel Aleman in Mexiko begonnen, die größte Universitätsstadt der Welt auf einem ehemaligen Lavafeld, dem Pedegral, außerhalb der Hauptstadt zu errichten. Dieses gigantische Projekt kann nur in Superlativen beschrieben werden. Ursprünglich waren 25,000.000 Dollar dafür veranschlagt, bis heute hat man aber weit mehr als das Doppelte ausgegeben. Noch jetzt sind an die 10.000 Arbeiter damit beschäftigt, immer wieder neue Bauten aufzurichten oder unfertige Komplexe zu vollenden. Straßen führen kreuz und quer durch die Anlage: es bedarf der Autobusse, um von einem Gebäudekomplex zum anderen zu gelangen. Autobusse bringen auch die Studenten aus der Hauptstadt. Man hat es. bewußt vermieden, Wohngebäude für sie innerhalb der Universitätsstadt zu errichten, da man die Heißblütigkeit der mexikanischen Jugend kennt und revolutionäre Umtriebe fürchtet. So bereitet der Transport der fast 30.000 Studenten nicht geringe Schwierigkeiten.

Schon 1551 wurde eine Universität in Mexiko City gegründet, die erste auf amerikanischem Boden überhaupt. Allmählich aber wurde der ehrwürdige Palast der Wissenschaft in der Altstadt zu klein. Durch die Revolution wurde das Unterrichtswesen in Mexiko gefördert, und immer mehr junge Leute drängten zum Hochschulstudium. So entschloß man sich zum Bau der Ciudad Universitaria, die zugleich das beste „Aushängeschild“ des fortschrittshungrigen Landes ist.

SIE IST ABER AUCH EINE GROSSARTIGE ANLAGE, die durch Carlos Lazo unter Mitwirkung der ersten amerikanischen Architekten und Künstler innerhalb weniger Jahre aus der Lava hervorgewachsen ist.

Vom architektonischen Standpunkt aus gesehen, ist diese „Bildungsfabrik“ eine großartige Schau hypermoderner Ausdrucksfähigkeit.

Die Gebäude sind untereinander wesentlich unterschiedlich in ihrer Konstruktion, bilden aber in ihrer Monumentalität und Farbenpracht eine bestechende Einheit.

Das bekannteste Gebäude, das weithin sichtbar emporragt, ist die Bibliothek, ein scheinbar fensterloser Betonblock, über und über mit bunten Fresken überzogen, welche die Geschichte Mexikos von der Zeit der Azteken bis zum heutigen Tag darstellen und natürlich besonders die Revolution verherrlichen. Die Entwürfe hierfür stammen von Diego Rivera, der in seinen Werken eine Synthese zwischen der altindianischen Tradition und dem Realismus der modernen Kunst anstrebte und die Tendenzen des „neuen" Mexikos verherrlichte. Er war Kommunist und brachte seine Haltung in seiner Malerei auch unmißverständlich zum Ausdruck; die Wertschätzung des Künstlers ist jedoch allgemein.

Juan O’Gorman, sein Schüler, hat die Fresken auf der Universitätsbibliothek geschaffen. Er ist auch der Schöpfer anderer Reliefs und Fresken auf verschiedenen Fakultätsgebäuden. Auf den Mosaiken am Rektoratsgebäude brachte David Alvaros Siquerios, ein Schüler Riveras, das Streben nach Kultur und Wissen zum Ausdruck. Die ideologische Grundtendenz ist in fast allen Werken dieselbe, nur ist ihr künstlerischer Ausdruck hundertfach abgewandelt.

DIE BEIDEN GEBÄUDE DER MEDIZINISCHEN FAKULTÄT sind durch Freitreppen in verschiedenen Höhen miteinander verbunden. In einem dieser Wolkenkratzer liegen sieben Hörsäle amphitheatralisch übereinander. Sie sind mit Fernsehempfängern und Lautsprecheranlagen derart ausgestattet, daß man in allen Aulen gleichzeitig dem Vortrag des in einem der Säle sprechenden Professors folgen kann. 7000 Studenten finden in jedem dieser Hörsäle Platz. Bunt ragen die Gebäude der naturwissenschaftlichen Fakultät zum blauen Himmel. Hier ist auf einem Areal von 30.000 Quadratmetern Platz für 8000 Studenten.

Ein Denkmal verherrlicht Miguel Aleman, den Präsidenten, der als Initiator des Baues der Ciudad Universitaria in die Geschichte Mexikos eingehen wird. In einem klaren Teich spiegelt sich das Denkmal des Prometheus...

Auf einem anderen Gebäude prangt ein Glasmosaik von Chavez Morado, das die Entwicklung der Energiegewinnung vom Feuer bis zur Atdmphysik in leuchtenden Farben darstellt.

SPORT SPIELT in den amerikanischen Ländern eine bedeutende Rolle. So hat man auch in Mexiko auf die Errichtung von Sportanlagen besonderen Wert gelegt. Da gibt es riesige Turnhallen, Fußballplätze, einen herrlichen Swimmingpool und Trainingshallen für Leichtathleten. Die Stadien sehen wie aztekische Pyramiden aus und sind ihnen bewußt nachgebaut. Wieder knüpft man an altindianische Traditionen an; das beweist auch die Wiedereinführung des Ballspiels Jai alai, das schon in ähnlicher Form von den präkolumbianischen

Einwohnern des Landes mit großer Begeisterung gespielt wurde.

Das Olympiastadion liegt außerhalb des „Campus“. Es faßt etwa 110.000 Besucher. Ein dreidimensionales Fries Diego Riveras schmückt seinen Eingang; hier findet man die Symbole Adler, Schlange und Kondor, die, entsprechend der altindianischen Ueberlieferung im heutigen Mexiko wieder neue Kraft erhalten haben.

1954, VOR DER ERÖFFNUNG DER UNIVERSITÄT, wurde auf dem Gelände der Ciudad Universitaria von Mexiko City eine Leistungsschau deutscher Industrien abgehalten, die dazu beitrug, die mexikanisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen zu intensivieren.

Erst 1955 wurde dann die Stadt ihrer eigentlichen Bestimmung übergeben. Heute sollen ungefähr 30.000 Studenten inskribiert sein, wenn man den meist etwas übertreibenden Statistiken der offiziellen mexikanischen Informationsstellen Glauben schenken darf. Es fehlt noch an Fachkräften, obwohl man sich bemüht, durch gute Dotierung intern'ational anerkannte Professoren nach Mexiko zu bringen. Es ist sicherlich nicht einfach, innerhalb weniger Jahre nicht nur eine grandiose Fassade aufzustellen, sondern auch die Wissenschaft dahinter nicht zu kurz kommen zu lassen. Die bisher erzielten Erfolge sind jedoch auch auf diesem Gebiet beachtenswert.

DIE STUDIENORDNUNG ist ähnlich wie in den USA. Nach der Mittelschule hat man im Rahmen des Hochschulstudiums vier Jahre College zu absolvieren, bevor die eigentliche Spe- . zialisierung beginnt. Dadurch dauert die Ausbildung länger, anderseits kann man schon nach vier Jahren das bei uns nicht bekannte Bachiller- Diplom erwerben. In Mexiko zahlen die Studenten nur nominelle Immatrikulationsgebühren. Stipendien werden in großzügigster Weise erteilt. So ist das Studium wirklich jedem Mexikaner ermöglicht, vorausgesetzt natürlich, daß seine geistigen Fähigkeiten zum Universitätsstudium ausreichen. Immer mehr junge Leute machen von diesem Angebot der Regierung Gebrauch: man erwartet in Kürze eine Verdoppelung der Höreranzahl an allen Fakultäten.

DAS BEISPIEL MEXIKOS hat Schule gemacht. Auch in anderen Ländern Amerikas entstanden in den allerletzten Jahren ähnliche Universitätsstädte, wie zum Beispiel in Panama City und in Caracas.

Werden wir uns auch in Oesterreich einmal an so ein Projekt heranwagen oder wird es immer nur ein Wunschtraum bleiben?

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