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„Einen Jux willersich machen“ — wir empfinden kaum mehr, welch eigenartiger, ja fast unmöglicher Titel das ist, so wie etwa der Name „Grillparzer“ niemandem mehr komisch vorkommt als den Kindern, die ihn zum erstenmal hören. Der Vergleich ist nicht so abwegig, wie er ausschaut. Ist doch der „Jux“, Nestroys Meisterwerk, heute ein — nicht nur im Sinne des Hausknechts Melchior — „klassisches“ Werk. Wie bei einem Klassiker tut einem daher auch jede Streichung richtig weh und wenn eine Pointe ^verlorengeht, was bei der Aufführung im Bürgertheater leider öfter vorkommt, so lacht man fast mehr in Erinnerung an den „Urjux“ als unter dem Zwang des Geschehens auf der Bühne. Gegen die leichte Musik und die aktuellen Gesangstexte ist gewiß nichts einzuwenden, ja so etwas gehört recht eigentlich zu diesem ewig jungen Werke, die hübsche Idee der zeitgenössischen Kritiken auf dem Theatervorhang sei ausdrücklich anerkannt, und auch die Streichung am Schluß des zweiten Bildes läßt sich rechtfertigen. Daß aber die ganze urkomische Flucht von Weinberl und Christopherl aus dem Hause des Fräuleins Blumenblatt wegfällt, ist für jeden Nestroy-Enthusiasten eine arge Enttäuschung. Schwerer noch wiegt, trotz einzelner erfreulicher schauspielerischer Leistungen, der Mangel an wirklich humorvoller Wärme und behäbig-gemüthafter Tiefe und die pointenmordende Nachlässigkeit der Regie bei einem Stück, in dem buchstäblich jeder Satz einen originellen Witz oder zumindest eine blendende Formulierung enthält.

Wie die Bühnenbilder, ist die ganze Aufführung allzu flächenhaft und wird daher auch der so plastischen und scharfsichtigen Charakterisierungskunst des „Wiener Aristophanes“ nicht gerecht. Doch selbst in dieser, lange nicht alle Möglichkeiten des Stückes ausschöpfenden Aufführung — welche Schar meisterhaft gezeichneter Charaktere, welche übersprudelnde Fülle blendender Pointen, die vom ersten bis zum letzten Satz auf die Bühne prasseln, welche atemberaubende Jagd witziger Einfälle, welche spielerisch-leichte Gewandtheit im Verwirren und Lösen aller Fäden. Darüber hinaus aber steckt feinste psychologische Erkenntnis in dieser Posse, besonders in dem die ganze Handlung auslösenden Gedanken vom „Verfluchte-Kerl“-Bewußt-sein. Auf populärer Ebene ist die Sehnsucht nach dem Ruhm des „verfluchten Kerls“, die Nestroy überlegen spottend, doch auch menschlich verstehend charakterisiert, Ru-stans Tatendrang in Grillparzers „Traum ein Leben“ verwandt. Zugleich aber ist der „verfluchte Kerl“ ein durchaus legitimer Vorfahre von Burckhardts „Renaissancemensch“ und Nietzsches „Herrenmensch“. Die virtuos aufgebaute Rede, in der der Kommis Weinberl uns einen Blick tun läßt in die innere Öde und in die geheimen

Wünsche seines sonst so musterhaften Kommisherzens, ist ein Glanzstück subtilster Psychologie.

Auch der maskenreiche Fritz Hochwälder möchte offensichtlich gerne in den Geruch des „verfluchten Kerls“ kommen. Als gewandter Routinier weiß er, daß man sich zu diesem Zweck am besten französisches Parfüm aus der Fabrikation des Herrn de Maupassant verschreibt. Aber wenn schon die schwüle Mischung aus raffinierter Frivolität und überhitztem Nationalismus, die manchen, und keineswegs den besten der Novellen Maupassamts entströmt, nicht immer restlos angenehm wirkt — so verbietet uns der von Herrn Hochwälder durch fünf lange Akte hartnäckig mißhandelte gute Geschmack, weiter im Bilde zu bleiben. An die Stelle einer die äußerste Gewagtheit noch mit graziösem Schleier verhüllenden französischen Zweideutigkeit ist in der nach Maupassants Novelle „Boule de suif“ gestalteten Komödie „Hotel du Commerce“ im Volkstheater eine unerträglich plumpe, oft witzlose Eindeutigkeit getreten. Schade um das zweifellos vorhandene, doch allzu unbedenklich den Effekt um seiner selbst willen suchende dramatische Talent des Autors, schade auch um die an eine so undankbare Aufgabe verschwendete Begabung“ der Schauspieler.

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