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Bestseller Transplantation

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PAPILLON von Henri Charriere. Aus dem Französischen von Erika Ziha und Ruth von Mayenburg. Verlag Fritz Molden, 560 Seiten, S 168.—. — CREEZY von Feli-zien Mar c eau, aus dem Französischen von G^rda Scheffel. Luchter-hand-Verlag, Neuwied. 196 Seiten, DM 15.80.

Was auf dem französischen Büchermarkt wie eine Bombe explodierte, kann, so die berechtigten Hoffnungen geschäftstüchtiger Verleger, auf dem deutschen nicht wie ein Schrapnell krepieren. Man lasse also das deutsche Literatenpack in seinem eigenen Saft verdunsten und importiere: eine Liebesgeschichte, deren prickelnder Reiz in der eigenartigen Mischung von Gartenlaube, James Bond und Oswald Kolle besteht, und einen Abenteuerroman, dessen Autor noch dazu den Anspruch auf Authentizität erhebt, was dem Leser wahrscheinlich bei der Lektüre ab und zu zu einem angenehmen Frösteln bzw. Schwitzen, verhelfen soll. Creezy und Papillon, zwei Namen, die schon auf der Zunge zergehen, wie „after eight“ kühl würzige Pfefferminzen in Schokoladehülle; werden sie auch des deutschen Spießers Gaumen reizen? Wahrscheinlich, denn man muß zugeben, daß beide Romane zielsicher auf ein ganz bestimmtes Geschmacks-empfinden hin manipuliert sind, das wiederum in zäher Arbeit von der Plakat- und Vergnügungsindustrie geweckt wurde. Ein neuer Aspekt, Bücher zu machen, den man bis jetzt vielleicht nicht so deutlich wahrgenommen hat. Der sensationelle Verkaufserfolg dieser Bücher zeigt aber deutlich, daß auch das Buch, dem vielleicht noch einige Zeit eine Art Kulturreservat beschieden war, sich dem Sog der Nachfrage, des Marktes, der Manipulation, nicht mehr entziehen kann. Was längst Wirklichkeit geworden ist, nämlich, daß man Bestseller schon von der Produktion her, noch bevor sie auf dem Markt sind, machen kann, zeigt sich am besten an der Taktik dieser Autoren.

Da ist einmal die „kühle Welle“, plakatsicher und sexunschuldig. James Bond mit der kalten Faust und dem ebenso kalten drink, niemals, aber auch niemals, aus der Verlegenheit zu bringen. Und da ist Papillon, unschuldig, selbstverständlich, zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt, wird er zur französischen Strafkolonie Cayenne gebracht, von wo er bereits nach 43 Tagen ausbricht, um im Laufe der Erzählung immer wieder aus allen möglichen Gefängnissen auszubrechen. Aber keine noch so schreckliche Situation bringt Papillon — so genannt nach einem auf seiner Brust tätowierten Schmetterling (manche dürfen auch Papi sagen) aus der Fassung, denn im Grunde seines Herzens ist er so unschuldig wie ein Neugeborenes oder ein Agent von CIA. Deshalb versteht er sich in den Gefängnissen am besten mit den Pfarrern, mit welchen er über die Schlechtigkeiten dieser Welt ein paar heiße Tränen weint, wofür sie dem Prachtkerl Papillon auch manchen Dienst erweisen. Aber so harmlos geht es natürlich nicht immer zu.

Hier gibt es alles, was ein Aben-teurerherz begehrt. Von menschenfressenden Ameisen, denen man beim Verspeisen eines Arabers zusehen kann (freue dich, Israel) bis zu menschenfressenden Menschen, die ihren Kameraden über dessen eigenem Holzbein braten. Papi packt schonungslos aus, freilich bewegt von gerechtem Zorn über eine blinde Justiz und der Sehnsucht nach den friedlichen Zeiten seiner Jugend, denn Papi hatte einen wirklich ehrbaren Papi, der den angesehenen Beruf eines Lehrers ausübte. Er verlebte einst viele schöne Jahre im Kreis seiner „liebenden, edelgesinnten Familie, mit angemessener Erziehung und guten Manieren“, bevor er zufällig in Zuhalterkreise des Montmartre geriet und ebenso zufällig des Mordes beschuldigt wurde. Nicht zufällig ist die Spekulation mit dem Geschäft, und es ist anzunehmen, daß die klirrenden Kassen Balsam für die Leiden des Henri Charriere sind.

Was Papillon für das Abenteuer, ist Creezy, die knabenhafte Plakatmaid, das exotisch-kühle Geschöpf, für die Liebe. Der Autor hielt sich geradezu mit sklavischer Andacht an das Strumpfhosenidol, läßt ihm ' keinen Ausweg aus der Illustrierten-geschdchte, einschließlich LSD und Selbstmord. Ein unbarmherziger Autor.

Hinzuzufügen wäre, daß beide Bücher eine Fundgrube für Soziologen sind, die sich für die Zusammenhänge von kollektiven Sehnsüchten und deren Manipulation interessieren. Und selbstverständlich auch für die Marktforscher. Denn es wird die Zeit kommen, in der man ganz einfach einen Computer nach den gängigen Wunschvorstellungen befragt und nach dessen Anweisungen ein Buch schreibt, das genau den Erwartungen der Leser entspricht. Wie heißt es so schön? There is no busi-ness like business.

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