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Besuch bei Königin Christine

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„WARUM EIGENTLICH gerade Königin Christine?“ Über diese Frage sann der Gast des königlich schwedischen Außenminirteriums lange, während ihn eine Caravelle der AUA in dreieinhalb Stunden von Wien nach Stockholm brachte. Warum fiel diie Wahl des Europa- rates für die elfte seiner großen Ausstellungen, diie vom 29. Juni tes 16. Oktober in Stockholm ihre Tore offen hält, . ausgerechnet auf die Tochter Gustav Adolfs II.? Hand aufs Herz: Wer von uns Mitteleuropäern kennt, wenn er nicht zufällig Historiker ist, jene Frau, die ‘mit leichter Hand die Krone abtwarf und den in ihren Tagen „Skandalösen“ Übertritt vom evangelischen zum katholischen Glauben vollzog? Zum Glück kommt uns Greta Garbo mit ihrem frühen Filmtriumph, eben in der Rolle jener von mehr als einem Geheimnis umgebenen schwedischen Königin, zu Hälfe.

DIE ANTWORT AUF DIE FRAGE

„Warum Königin Christine?“ fällt, zumindest was die Intentionen des Europarats betrifft, gar nicht so schwer. Die 1626 geborene Tochter Gustav Adolfs war ohne Zweifel eine „Europäerin ihrer Zeit“. Die schwedische Königin, die 1654, unmittelbar nach ihrem Thronverzicht, Schweden verläßt und durch Deutschland, Belgien, Frankreich, Österreich und Italien zieht, überall bestrebt, mit den schönen Künsten und ihren Repräsentanten ins Gespräch zu kommen, war ohne Zweifel eine moderne europäische Frau ihres Jahrhunderts.

Eine Protestantin, die in der Hofkirche zu Innsbruck in feierlicher Form zum Katholizismus übertrat und nach ihrem Tod im Jahre 1689 als erste und einzige Frau in der Peterskirche ihre letzte Ruhe finden wird, sprengt ohne Zweifel den Rahmen des 17. Jahrhunderts.

Aber unsere Frage „Warum Köni gin Christine?“ ist erst zum Teil beantwortet. Wi r denken dabei vor allem an die zwiespältigen Gefühle, die sich mit ihrem Namen in ihrem Heimatland durch Jahrhunderte verbanden. Königin Christine war zumindest lange — um ein Modewort zu gebrauchen — so etwas wie Schwedens „unbewältigte Vergan genheit“. Wenn Stockholm nun in diesem Sommer festlich flaggt, um der „verlorenen Tochter“ Gustav Adolfs mit der großen Ausstellung im Nationalmuseum eine triumphale Heimkehr zu bereiten, ‘dann möchten wir darin nicht nur das Werk einiger Kustoden sehen, sondern darin eine im besten Sinn europäische Tat erblicken. Überwindung der Vergangenheit in einem größeren Consens.

Darum prägte sich auch als stärkster Eindruck eine Szene der Erinnerung ein: Die schlanke Gestalt des betagten schwedischen Königs Gustav VI. Adolf, der heute noch dieselbe Krone wie die Herrscher aus dem Hause Wasa trägt, neben dem bärtigen Kardinal Tisserant. Nachdenklich ruht der Blick der beiden Männer, die für geschichtliche Mächte stehen, diie einmal ein Meer von Haß und Blut trennte, auf dem Thron der Königin Christine. Verklungen ist das Feldgescbrei „Gott mit uns“ und auch „Jesus Maria“ steht heute auf keiner Fahne, unter der zum Streit ausgezogen wird

WER DIE GROSSE AUSSTELLUNG im Nationalmuseum, an deren Zustandekommen die kulturellen Schatzkammern vieler Länder — Österreich nicht zuletzt — ‘beteiligt sind, betritt, ist bald überwältigt durch die Vielzahl der historischen und kulturellen Exponate, die das Jahrhundert der Königin Christine lebendig machen. Ihre Fülle droht beinahe den Besucher zu überwältigen.. Ein Besuch ist zu wenig, man müßte dreimal und öfter kommen, man müßte lange Zeit in Stockholm verweilen. Hat man nicht Zeit und Gelegenheit dazu, so muß man schweren Herzens isich entscheiden

— bzw. bescheiden —, wohin man seine Schritte lenkt. Der Historiker wird zunächst vor das kugeldurchlöcherte Lederkoler Gustav Adolfs treten — es wurde übrigens erst 1920 gleichsam als Dank für die schwedische Hälfe für Österreichs Kinder in der Nachkriegszeit von österreichischer Seite Schweden zum Geschenk gemacht — und sich dann jenem Teil der Ausstellung widmen, über der der flehende Ruf einer gepeinigten Generation „Domine, venl cum pace“ isteht. Sie gilt dem Erlöschen deg Dreißigjährigen Krieges und dem Frieden von Münster und Osnabrück. Der Kunstfreund Wird in der Zwischenzeit weitereilen und — vor der Qual der Entscheidung stehen. Soll er die italienischen Malereien und Skulpturen betrachten, den Handzedchnungen, die in fünf Kabinetten aufgelegt sind, seine Aufmerksamkeit schenken, das kostbare Kunstgewerbe des 17. Jahrhunderts in Augenschein nehmen, vor den antiken Statuen im Treppenhaus stehenbleiben oder vor den Werken nordeuropäischer Meister, denen ebenfalls ein eigener Saal gewidmet ‘ist, halt machen? Letzterer Saal sei übrigens auch dem Besucher, den zu_ nächst vielleicht die Dokumentation über das gelehrte Rom jener Zeit

— es spielte in Christines Leben eine ‘große Rolle — -angezogen hat sowie dem Theaterenthusiasten, der die kunstvoll nachgebildete Bühne des Palazzo Barberind bewundert hat, wie überhaupt allen Besuchern als „obligatorisch“ empfohlen. Der Atem eines Jahrhunderts des Umbruchs, ja der Blutdunst der vielen Schlachtfelder dieser Zeit weht einem aus Pieter Ardens Gemälde „Fleischerladen“ entgegen, während Giuseppe Arcimboldos Porträts manchen Surrealisten unserer Tage vor Neid erblassen lassen können. Übrigens: Nicht wenige der ‘hier gezeigten Bilder waren einmal der Stolz Rudolfs II. in Prag. Der „Schwedensturm“ trug sie bis in das ferne Stockholm.

Und über allem und immer wieder: Die Präsenz jener seltsamen Frau, der Königin Christine. Die Historiker haben sich um sie bemüht, Romane wurden geschrieben, Filme ‘gedreht. Zuletzt haben sie auch noch die Psychoanalytiker entdeckt. Ihre letzten Geheimnisse aber hat sie ins Grab mitgenommen. In jenen in der Petersbirche ruhenden Sarg, wo die Tochter des „Erbfeindes Roms“ wartet, bis alle Schlachten dieser Welt ausgekämpft sind, bis der Herr wirklich kommt mit seinem Frieden.

„WARUM EIGENTLICH KÖNIGIN Christine?“ Wer die elfte Ausstellung des Europarats in Stockholm gesehen hat, wird diese Frage kaum mehr stellen.

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