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Bosendorfers Ende und Erbe

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Soeben Ist im Herold-Verlag der vierte Band der Serie „So lange er lebte“ erschienen, der den Titel führt: „Ich ärgere mich immer, wenn ich ihre Denkschriften lese.“ Wieder erzählt Fred Hennings wichtige Ereignisse aus den Schicksaisjahren des Kaiserreiches: politische, kulturelle und künstlerische. — Wir brachten in der 17. Folge der „Furche“ unter dem Titel „Klaviermacher und Mäzen“ ein Porträt Ludwig Bösendorfers und lassen nun einen weiteren abschließenden Abschnitt seiner Lebensgeschichte folgen.

Am l. Marz 1909 ubergab Bösendorfer die Firma, die er 50 Jahre als Chef geleitet hatte, an seinen Freund Carl Hutterstrasser und zog sich ins Privatleben zurück. Damit begann, wie bei den meisten Pensionisten, der Abstieg seines Daseins. Nun sitzt er die längste Zeit in Ischl und schreibt wehmütige Briefe „An die ferne Geliebte!“, womit er seine einstige Firma meint. Er erteilt technische Details betreffende Ratschläge an seinen Nachfolger und kommt in Wirklichkeit von seinem Geschäft nicht los. Er hatte den eigentlichen Inhalt seines Lebens eingebüßt und wurde alt. Am 2. Mai 1913 fand im Bösendorfer-Saal, der trotz aller Proteste zur Demolierung verurteilt worden war, das letzte Konzert statt. Darüber berichtet der Dichter Stefan Zweig: „Als das alte Burgtheater demoliert wurde, war die ganze Wiener Gesellschaft wie bei einem Begräbnis feierlich und ergriffen in den Räumen versammelt; kaum war der Vorhang gefallen, stürzte jeder auf die Bühne, um wenigstens einen Splitter von den Brettern, auf denen ihre geliebten Künstler gewirkt, als Reliquie nach Hause zu bringen, und in Dutzenden von Bürgerhäusern sah man noch jahrzehntelang diese unscheinbaren Holzsplitter in kostbarer Kassette bewahrt, wie in den Kirchen die Splitter des Heiligen Kreuzes. Wir selbst handelten nicht viel vernünftiger, als der sogenannte Bösendorfer-Saal niedergerissen wurde. An sich war dieser kleine Konzertsaal, der ausschließlich der Kammermusik vorbehalten war, ein ganz unbedeutendes Bauwerk, die frühere Reitschule des Fürsten Liechtenstein, und nur durch eine Holzverschalung völlig prunklos zu musikalischen Zwecken adaptiert. Aber er hatte die Resonanz einer alten Violine, er war den Liebhabern der Musdk geheiligte Stätte. Und nun sollte er einem neuen Zweckbau weichen; es war unfaßbar für uns, die hier unvergeßliche Stunden erlebt. Als die letzten Takte von Haydns Variationen über die Volkshymne verklangen, vom Rose-Quartett herrlicher als jemals gespielt, verließ keiner seinen Platz. Wir lärmten und applaudierten, einige Frauen schluchzten vor Erregung, niemand wollte es wahrhaben, daß es ein Abschied war. Man verlöschte im Saal die Lichter, um uns zu verjagen. Keiner von den Vier- oder Fünfhundert der Fanatiker wich von seinem Platz. Eine halbe Stunde, eine Stunde blieben wir, als ob wir es erzwingen könnten durch unsere Gegenwart, daß der alte geheiligte Raum gerettet würde. Es war wie ein Stück Seele, das man uns aus dem Leibe riß.“

Wenige Tage nach diesem so traurigen Abschied wurde mit dem Abbruch des Palais Liechtenstein begonnen, das an die Umon-Baugesell-schaft verkauft worden war. Doch die Errichtung des geplanten Neubaues wurde durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges zunichte gemacht, so daß durch volle zwanzig Jahre hindurch das zirka 5400 Quadratmeter große Grundstück im Herzen der Stadt hinter einer endlosen Planke versteckt dalag. ★

Bösendorfers Lebenswille wurde durch die Demolierung seiner Lieblingsschöpfung in seinen Grundfesten erschüttert. Er übersiedelte in sein neues Heim, Kohlmarkt 11, das zu seiner letzten Station werden sollte. Dort schreibt er mit zitternder Hand: „Märchen sind Phantasien, welche der Wirklichkeit nicht entsprechen. Ich habe kein Vaterland, das Vaterland hat mich und wußte mich auszunützen. Zum Schluß wurde ich demoliert!“ Bösendorfer zog sich, von einer Wirtschafterin betreut, grollend und verbittert immer mehr in die Einsamkeit' seiner vier Wände zurück. Nur mit einigen Herren aus der Gesellschaft der Musikfreunde hielt er noch Kontakt.

Am 23. Februar 1914 verfaßte Bösendorfer sein Testament. Darin hieß es zu Beginn: „Ich setze zu Erben meines gesamten Nachlasses eine Stiftung für Musikzwecke ein, welche den Namen .Ludwig-Bösendorfer-Stiftung der k. u. k. Gesellschaft der Musikfreunde in Wien' führen soll.“ Rührend war die Besorgnis für seine Arbeiter, die er reichlich mit Legaten bedachte. Der Gesellschaft der Musikfreunde und dem Singverein galt sein letzter Gedanke und tiefempfundener Dank. Die Art der Verwendung des Stiftungskapitals wurde im Testament genau festgelegt. Daß Bösendorfer nicht nur lieben, sondern auch hassen konnte, beweist ein Passus, in welchem vier Persönlichkeiten namentlich angeführt wurden, die von der Leitung der Gesellschaft der Musikfreunde ausgeschlossen werden sollten, widrigenfalls das Erbe der Gesellschaft verlorenging. Es waren dies die Herren: F. Ehrbar, Angelo Eisner von Eisenhof, K. August Artaria und Thomas Scha-bel. Ihnen wäre, laut Testament, die Gesellschaft nur ein Vorspann für Egoismus und lächerliche Eitelkeit gewesen.

Schon anläßlich des Todes seiner ersten Gattin Cölestine traf Bösendorfer für deren Begräbnis ganz ungewöhnliche Anordnungen. Es durfte keine Parte ausgegeben werden, und die Einsegnung fand um 9 Uhr abends in der Michaeierkirche statt. Für sein eigenes Ableben verfügte ,er testamentarisch das Folgende: „Wenn ich verschieden bin, sollen alle Vorsichtsmittel gegen Scheintod gebraucht, insbesondere der Herzstich vorgenommen und meine Leiche seziert werden; meine Leiche soll in einfacher Hauskleidung, in einfachstem Holzsarge — wenn möglich durch meinen Kutscher Neptersill, auf einem Klavierwagen und mit meinen eigenen Pferden — in die Beisetzkammer auf dem Zentralfriedhofe gebracht werden.

Ich will also keine Waschung, keine Aufbahrung, keine Hauseinsegnung, keine Blumen, keine Kränze haben; auch keine Grabreden.

Meine Leiche soll ohne alles Gepränge, in der einfachsten kirchlichen Form — wie solche für mittellos Verstorbene üblich ist — bestattet, und zwar in der Gruft beigesetzt werden, wo sich bereits die irdischen Reste meiner beiden Frauen Celeste und Henriette befinden.

Ich wünsche keine Grabschrift, es ist lediglich auf dem vorhandenen Grabsteine zu den Namen Celeste und Henriette der Name .Ludwig* und die Zahl meines Todesjahres hinzuzufügen.

Ich wünsche, daß mein Ableben bis nach erfolgter Beisetzung meiner Leiche möglichst geheimgehalten, auch keinerlei Parte ausgegeben werde und meine Beisetzung in aller Stille und möglichst ohne alle Teilnehmer vor sich gehe.“ So geschah es auch nach dem Tode Ludwig Bösendorfers am 9. Mai 1919. Seinem Wunsch gemäß wurde er des Nachts auf einem seiner Klavierwagen auf den Zentralfriedhof übergeführt, nur vom Vizepräsidenten der Gesellschaft der Musikfreunde, Dr. Ernst Kraus, und seinem Geschäftsnachfolger, Kommer-zialrat Karl Hutterstrasser, begleitet.

Der Ausbruch des ersten Weltkrieges, in dessen Verlauf auch fSösen-dorfers Pferde einrückend gemacht wurden, hatte dem ohnehin schon so tief verbitterten seltsamen Kauz den letzten Stoß versetzt. Mühsam schrieb er 1916: „Jetzt habe ich kein Ciavier, keine Frau, keine Pferde, keine Kinder, keine Geschwister, also wozu noch leben unter Narren und Verbrechern?“

Diese geradezu erschütternde Anmerkung beweist, in welch schweren Depression der früher so urwüchsige Arbeitsfanatiker Bösendorfer die letzten Jahre seines Daseins verbringen mußte. Sein trauriges Ende paßt so gar nicht zum Bild jenes Mannes, der der Kunst, und den Künstlern so unschätzbare Dienste geleistet hat.

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