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Das KI avierscliauspiel

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Der Frack bedeckte die kräftig-unter-etzte Gestalt eher, als daß er sie verhüllte; das Kleidungsstück dezenter Zurückhaltung war unbegreiflich zu etwas Flatterndem verwandelt, mit Schwänzen, Spitzen, Schößen und Umschlägen. Speckig-blondes Haar lag gescheitelt auf kantiger Schädeldecke und endete noch oberhalb der Ohren in einem schlecht durchbluteten Hautwulst; so also war die äußere Erscheinung des Pianisten beschaffen.

Nach einer knappen Verbeugung setzte er sich an sein Instrument, maß es mit kurzen Blicken und verpaßte ihm ein paar heftige Akkorde. Die Zuhörer verwandelten sich alsbald in Zuschauer. Sie verfolgten mit Aufmerksamkeit die Gestik des Klavierspielers und vernachlässigten dabei zu Unrecht sein virtuoses Können. Nach den ersten Stößen fiel dem Stämmigen eine lange Locke in die Stirn; vielmehr, zunächst lockerte sich der glatte Bau der Frisur, es sah nach Erdrutsch aus, dann schwippte die Locke vor und ließ sich nimmermehr besänftigen. Die Gesichtszüge des Pianisten hatten inzwischen einen Ausdruck unbändigen Vernichtungswillens angenommen, es 6prach Entschlossenheit aus den aneinandergerückten Brauen, der Mund hing tief in den Angeln, und der bisher listige Blick erschien stechend, die Augen klein.

„Er macht böse Miene zum guten Spiel“, flüsterten sich zwei Backfische zu. Fast schien es, als habe er dies gehört, denn nun warf er in plötzlicher Erleuchtung die Locke aus der Stirn, die Stirn aus dem Gesicht, schlug die Augen auf und nahm einen Himmelsflug, der in den bisher so dumpfen Zügen wie Sonnenlicht über einer Abraumhalde hauste. Die Arme tänzelten in den Gelenken, die Finger wollten ihnen an Grazie nicht nachstehen. Lerchentriller flöteten aus dem Instrument und malten Verzückung In die Züge des Lautschöpfers. „Es geht, es geht“, schien er erleichtert zu stammeln, aber schon zuckte er zusammen, schüttelte schmerzlich das Haupt, kniff die Lippen ein, bedauernd versichernd, daß dies nicht gerne geschehen sei — während die Hände auf den Tasten fehlerlose Läufe veranstalteten und nichts den Grund zu solcher Verstimmung abgeben konnte.

Mit düsterem Entschluß senkte nun der gereizte Pianist sein Haupt zum Angriff mit den Hörnern, und diesmal erzitterte das Instrument ängstlich. Es geriet in seitliche Schwankungen, er trat ihm energisch aufs Pedal und brachte es damit zur Räson. Die Locke senkte sich wieder in sein Antlitz, er suchte sie durch Stirnrunzeln zu verscheuchen, was aber permanent mißlang. So stürmte er denn die feindliche Stellung, die der gewaltige Komponist vor ihm aufgebaut hatte, mit aufgelöstem Haar, mit einem offenbar rasenden Schmerz im Hüftgelenk, welchen er vergeblich abzuschütteln bemüht blieb. Die Zuschauer atmeten auf, als der Tonkünstler eine Pause einlegte; mit allen guten Wünschen gingen sie in die zweite Runde.

Einer allerdings ertrug es nicht, er konnte kein Blut sehen, deshalb verschwand er unauffällig durch die Seitentüre. Am nächsten Tag rief er einen Bekannten an, der auch im Konzert gewesen war, fragte ihn, ob er bis zum Ende ausgehalten habe, und, nachdem dies bejaht worden war, erkundigte er sich erschauernd, wie es denn ausgegangen sei? Der Befragte konnte ihm nur die beste Auskunft geben, niemand war ein Schaden zugestoßen, die Gegner blieben unverletzt, ja die Konzertbesucher hatten durch frenetischen Beifall ihr Wohlgefallen an dem Augenschmaus zu erkennen gegeben und den Pianisten bejubelt, bis er es sich nicht mehr nehmen ließ, einige Draufgaben zu machen und, statt bloß von acht bis halb zehn Uhr, geschlagene zwei Stunden lang Klavier zu kämpfen.

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