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DAS LANG ENTTHRONTE HERZ

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Am 8. Februar 1943 verstarb in seiner Wohnung, 33 River- side Drive, New York, noch nicht vierzigjährig, Guido Zernatto, zum Unterschied von seinem Onkel, dem Priesterdichter, der „Jüngere“ genannt. Es ist, als wollten eigene Begabung und göttliche Gnade alle Höhen und Tiefen menschlichen Daseins in diesen kurzen Zeitraum pressen. Vom Herausgeber der „Kärntner Monatshefte“ in den Jahrein 1924 bis 1926 brachte er es 1934 zum Vizepräsidenten dies österreichischen Bundesverlages, vom Generalsekretär des „österreichischen Heimatschutzes“ (1929 bis 1931) am 13. Mai 1936 zu dem der „Vaterländischen Front“. Der freiwillige Kärntner Abwehrkämpfer wurde Staatssekretär und Minister. Aber auch seine 1930 zugezogene Nierenerkrankung verließ ihn nicht mehr, und an jenem 11. März 1938 nachts, begann (entgegen der Radio-„Meldung“: ohne Geld) seine entbehrungsreiche Flucht, die ihn zunächst — Ostern 1938 — nach Paris führte, wo er „Die Wahrheit über Österreich“ schrieb, Nach der Besetzung von Paris zu weiteren Stationen in Porto bzw. Lissabon gezwungen, erreichte er am 10. November 1940 New York. Doch:

„Dieser Wind der fremden Kontinente Hat den Atem einer andern Zeit.

Andre Menschen, einer andern Welt geboren,

Mag’s erfrischen. Ich bin hier verloren

Wie ein Waldtier, das in Winternächten schreit."

Und so bricht Zernatto buchstäblich das „lang entthronte Herz, das leer ist wie ein ausgeweintes Weib.“ Unbestritten ist sein hoher Rang als Lyriker. Unter 550 Bewerbern errang er 1930 den Lyrikpreis der „Kolonne“ in Dresden, und die Juroren sagten später, daß es darüber überhaupt keinen Zweifel gegeben habe. Mit diesem Band „Gelobt sei alle Kreatur“ und dem nachfolgenden „Die Sonnenuhr“ erobert er sich den gesamten deutschen Sprachraum. Hier gibt es keine epigonale Nachahmung, keine Vorbilder und Anklänge; mit originaler schöpferischer Kraft hat Zernatto einen neuen dichterischen Gipfelpunkt erklommen, wie wir ihn nach Rilke kaum mehr zu hoffen wagten. Es ist falsch, Zernatto zum oberflächlichen Realisten zu stempeln, von Kaspel und Kraut erhebt er sich vielmehr zum Himmel,

„der so blau und so sternenklar ist, daß man auf steht und langsam die Türe auf macht und hinaushört ins leuchtende Dunkel der Nacht und eine Zeitlang auf alles vergißt“.

Zernatto, als Denker wie Dichter gleich groß, erkennt nicht nur den Aufbau der Natur, vom Anorganischen zum Organischen, gekrönt vom Menschen, frei und verantwortlich, er durchschaut auch die metaphysischen Zusammenhänge einer höheren Harmonie, die nach Verlust des Paradieses freilich von Leid und Schuld gestört ist:

„Ich bete zu Gott, weil in Seiner Hand

Mein Sein ist, mein Leib, mein Gefühl, mein Verstand,

Mein Hoffen, mein Trachten zu jeglicher Stund

Und ohne Ihn redet kein Wörtlein mein Mund.“

Die Ausdrucksmittel, deren sich Zernatto bedient, sind ganz einfach. Seine Hochsprache übernimmt einige Worte der Kärntner Mundsprache, stellt sie aber wie neu hin, macht sie gleichsam hoffähig. Das Versmaß ist höchst unkompliziert, die Thematik alltäglich, und doch gehört unser Dichter zu den seltenen, die keine überflüssige Zeile hinterlassen haben, deren gesamtes Werk dauernde Geltung besitzt. Auch in ihm weht der melancholische Hauch österreichischer Resignation, aber im Sinne einer echt romantischen Wertung:

„Die große Welt? — Das kann ja alles sein!

Ich aber träume von den Bäumen,

Die vielgeliebt den kleinen Garten säumen,

Den blauen Tagen und von dir allein.“

Sein Pessimismus ist ein gütig verzeihender, der ihn oft über einen Menschen das Wort sagen ließ: „Er ist ja auch nur arm.“ Der tragende Grund seiner Persönlichkeit, die Naturbursch und Salonlöwe vereinte, der alles gelang und die alles bezwang, der aber letztlich auch nichts Schlimmes erspart blieb, war aber seine Religiosität, sein unbeirrbares Gottvertrauen:

„Glaub nicht, daß Gott auf dich vergaß.

Du bist der letzte Knecht von Gottes Knechten.

Und was bei dir ein Maß ist, ist bei Gott kein Maß.

Vermiß dich nicht, mit IHM, dem Herrn, zu rechten."

1961 erschien beim Otto-Müller-Verlag, Salzburg, herausgegeben von Hans Brunmayr unter dem Titel „Die Sonnenuhr“, die Gesamtausgabe der Gedichte Zernattos. Das Kulturamt der Stadt Villach wird am 7. Februar in einer Feierstunde dės am 21. Juli 1903 in Treffen Geborenen gedenken. Dort werden vorher sich seine — ihm in Blut und Gesinnung — Verwandten zum lateinischen Requiemamt in der Franziskanerkirche versammeln.

So wird der Ferne uns nah sein, der wahrhaft Heimgekehrte zu unserem Herzen die optimistischen (bisher unveröffentlichten) Worte sprechen:

„Auch wer den innersten Sinn des Hasses verstünde, Könnte sich nicht der Liebe erwehren,

Die sich in uns staut

Und hinweg über Trauer und Haß

Noch immer nach Morgen ausschaut.“

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