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Das ScJiiff in der FlascL

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Als Knabe hatte er immer die Dreimaster bewundert, die geduldige Leute in hellen Flaschen durch einen sehr engen Hals aufbauten. Sie waren ihm geheimnisvoll, ja magisch erschienen wie ein festlich versunkenes Schiff im gläsernen Glänze des Meeres. Damals hatte er 6ich vorgenommen, auch einmal ein solches Kunstwerk zu schaffen, aber als er damit versuchsweise begann, ging der Bau so lächerlich langsam, ja überhaupt nicht vonstatten, daß er die Flasche kurzerhand an die Wand schlug und zerschellte. Aber immer wieder fühlte er das Begehren, sich mit einem Segelschiff im Glase zu versuchen, ohne freilich mehr zu tun, als schöne, klare Flaschen zu sammeln, die er dann wieder von Zeit zu Zeit verwarf.

Er wuchs in der Hauptstadt heran, ohne besondere Talente und Vorzüge, außer einem ungewöhnlichen Pflichtgefühl„ das ihn auf seiner Laufbahn als Staatsbeamter rasch ein gutes Stück vorwärtsbrachte, so daß er in seinen Zwanzigerjahren heiraten, eine Familie gründen und seinem weiteren Leben geruhig entgegenblicken konnte.

Als nach dem Weltkriege das unterste nach oben kam, er aber nicht mehr so jung war, daß er auf dieser Welle vergnüglich mitreiten konnte, dachte er an jenes Segelschiff immer häufiger, so daß ihm die Ausführung des lange gehegten Planes als Pflicht zu erscheinen begann. Nun hatte er ein* Kind, einen Knaben, der eines Tages, als er zehn Jahre alt war, von einem Schiff in der Flasche redete,- viele Fragen stellte, die der Vater beantwortete, bis er begehrte, selbst ein solches Wunderwerk zu be< sitzen. So hielt der Vater den Augenblick für gekommen, mit seinem Planen Ernst zu machen, um das, was er sich seit Jahren vorgenommen hatte, mit der Neigung des Kindes zu vereinigen und zu verwirklichen.

Der Kleine durfte ihm an den Abenden mit der Vorbereitung der Hölzchen, schmalen Latten, Streben, Taue und mit dem Kleben helfen, und so sehr waren sie damit beschäftigt, daß der eine den andern darüber vergaß und fast kein Wörtlein fiel. Die Frau des Staatsbeamten, die sich zuerst über die Abendtätigkeit gefreut hatte, wurde stiller und stiller während sie nähte oder las, aber was sie dachte, wußte kein Mensch.

Das Schiffchen in der Flasche war nach einigen Monaten so weit gediehen, daß sich bereits eines der Segel wie im Winde zu bauschen schien, und oft hielten Vater und Sohn erregt inne, um durch das Glas zu starren, als erwarteten sie jeden Augenblick, daß der Kapitän an Deck kommen würde, vielleicht um zu sageri, wie zufrieden er mit dem Bau sei. Dann arbeiteten sie wieder weiter, während sie von Zeit zu Zeit in Büchern nachsahen, in Büchern über Schiffsmodelle, die sich in den letzten Jahren eingestellt hatten.

Nun geschah es nach einem Jahre dieser Bemühung, daß die Frau des Staatsbeamten — der inzwischen Ministerialrat geworden war — eines Abends aus Versehen gegen die Flasche stieß, die Flasche auf dem Tisch ins Rollen kam und so unglücklich auf den Hartholzboden fiel, daß sie in viele Stücke zerbrach und mit ihr das Gerüst des Schiffleins, von dem das geblähte Segel allein unberührt zu sein schien. Da ergriff ihren Mann eine so namenlose Erregung und ein so urtümlicher Zorn, als wäre der zurückdämmenden Geduld eines Lebens der Damm gebrochen, daß er wie im scharfen Schmerze aufschrie und seine Frau zurückstieß, die tief erschrocken ihn ansah, sich niederbückte und die Scherben auflas, als hoffte sie, im geheimen noch das Unheil gutzumachen. Sie war aber viel mehr über die Fremdheit ihres Mannes als über den Schaden bestürzt, über ihr erkaltetes Verhältnis, das in Wahrheit ein dienendes geworden war, und darüber, was ihr Bub nun denken würde. Der Knabe hajf Ihr die Brachstücke auflesen, beklagte den Verlust aber nur mit der Beteuerung: .Das schöne Schiff! Das schöne Schiff 1“ —

Viele Jahre später, nachdem die Eheleute einander in einer schönen Heiterkeit gefunden hatten und das Kind mittlerweile zum Ehemann und Vater geworden war, fügte es sich, daß der Enkel zu dem Manne mit den lichten Augen und dem weißen Haar von einem Segelschiff in der Flasche sprach, das er sich für sein Leben gerne wünschte.

Der alte Mann, der nun als Pensionist viel Zeit hatte, ging sofort an die Ausführung dieses Wunsches, den er mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor selbst so eifrig gehegt hatte. Er bastelte im stillen daran, mußte aber — weil seine kranke Frau seiner Hilfe bedurfte — die Arbeit häufig unterbrechen, was er stets mit einer heiteren, lächelnden Geduld tat, und als sie starb und er sie begraben hatte, war er ganz allein im Leben. Nur wenn sein Enkel kam, war alle Zeit dahin, und das Kind half ihm, wie sein Sohn ihm geholfen hatte und wie er selbst als Kind mit ungeschickten Versuchen beschäftigt gewesen war. Der Alte hatte viele wunderliche Worte, mit denen er sein langsames Tun für den Enkel begleitete, und nach einiger Zeit war das Schifflein in der Flasche so weit gediehen, daß sich bereits alle drei Segel wie im Winde zu bauschen schienen; zuweilen hielten sie dann inne, um durch das Glas zu schauen, als erwarteten sie, daß der Kapitän auf Deck kommen würde, vielleicht um sie wissen zu lassen, daß ihm der Bau behage.

Am Tage, da das Kunstwerk fertig war, gab man dem Greis ein kleines Fest in seinem Hause. Jeder bewunderte das Schifflein in der Flasche, man trank am Abend bei den lichten Fenstervorhängen, die noch die frühe Anmut der Mutter im blaßgelben Gewebe trugen, und man wußte nicht recht, wer die größere Freude hatte, der Greis oder der Enkel, der nun aus den Händen des Alten den Dreimaster im Glase empfangen sollte.

Sei es nun, daß das Kind zu eifrig Zugriff oder daß dem Großvater die Hände zu sehr zitterten — vielleicht durch den Wein oder die rauschhafte Frühlingsluft—, die Flasche entglitt ihren Händen und, während die Gäste, alle erschreckt aufschrien, zerbrach am Hartholzboden fast an der gleichen Stelle, wo das Unglück schon einmal geschehen war, nur tait dem Unterschied, daß diesmal das Segelschiff unversehrt blieb. So ruhte es in voller Fahrt auf den Splittern wie auf glitzernden Wellen und seine Segel bauschten sich im Windzuge nun wirklich ein klein wenig.

Der Enkel kniete nieder und rief: .Das schöne Schiff! Das schöne Schiff!“ — Die Gäste aber blickten alle auf den alten Mann, von dem sie Trauer und Schmerz über sein Ungeschick zu erwarten schienen. Allein, der Alte lächelte nur und zwinkerte mit einem Auge dem Enkel freundlich zu. Dann machte er sich klein, indem er die Schultern zusammenzog und sich bückte, er wurde immer kleiner und verschwand endlich ganz und gar, so daß sich alle Gäste erstaunt, ratlos und bestürzt ansahen.

In dieser angespannten Stille hörten sie plötzlich ganz leichtes Klopfen, so als stiege jemand in der Ferne eine Hohltreppe an, und als sie genau in die Richtung blickten, sahen sie gerade noch den Greis, strahlend und heiter, aufs Deck des Segelschiffleins steigen, mit einer ganz kleinen Kapitänskappe auf dem Kopf und winzigen Goldstreifen an den Ärmeln. Nun stand er langsam stramm und salutierte seinem Enkel. „Gott befohlen“, hörte man ihn noch mit einer leisen, lichten Stimme sagen. Dann wehten die Vorhänge über das Schifflein hinweg.

Es war ein schöner Abend voll klingender Perlen und das Himmelsblau war in reines Gold getaucht.

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