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Der Bauer als Vorbild

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Nun deckt der Bauer im Gebirge sein Haus mit einem relativ flachen Dach, es ist nämlich mit Holzschindeln gedeckt und diese wieder sind mit großen Steinen beschwert. Diese Steine würden von einem steilen Dach abrutschen, genau so wie die Schneemassen im Winter, was ihm die Stalltüren versperren würde. Wenn man heute Entwürfe einiger Architekten betrachten muß, ist man erstaunt, welch logischen Gedankengang der Bauer schon vor Jahrhunderten hatte. Anders — aber auch hier funktionell durchaus richtig — bauten die Bauern des Flachlandes. Hier, wo weniger i Schnee fällt, finden wir das steile Ziegeldach, oder, wie zum Beispiel i in Schleswig-Holstein, das ebenfalls i steile Strohdach. Das erste ist steil, i damit die Dachziegel an den Dachlatten durch ihr eigenes Gewicht i festhängen können, und das zweite, :. damit das Regenwasser schnellstens r abfließt, ohne vorerst einzusickern, t Man baue also im Gebirge eher flach und im Flachland eher steil und r hoch, nicht aber, wie jetzt üblich, r umgekehrt!

s Natürlich gäbe es noch unzählige s Merkmale für echte Bauernhöfe (so entstanden das Einhaus in Tirol, der Paarhof im Pongau, der Dreiseithof im Mühlviertel oder der große Vierkanthof in der Gegend von Enns nicht von ungefähr), doch sei darauf nicht weiter eingegangen, sonst werden sie noch „gewissenhafter” nachgeäfft. Ja, nachgeäfft, denn nichts anderes ist das, was heute am Lande gebaut wird. Was da so an Scheußlichkeiten entsteht, ist ebenso ekelerregend, wie jener Herr Kommerzienrat aus Düsseldorf, der durch Innsbrucks Gässen just in kurzen Lederhosen gekleidet umherläuft und mit seinen weißen, dürren Waden ein unästhetisches Bild” abgibt.

Sind denn die Architekten heute außerstande, Eigenes zu schaffen? Es scheint so zu sein, denn wann immer man diese Frage aufwirft, bekommt man die gleiche Antwort: „Wir müssen ja zur Landschaft passend bauen!”

Es sei nun an dieser Stelle erlaubt, einige Beispiele anzuführen, die zeigen, daß man in früheren Zeiten niemals Bauten „zur Landschaft passend” errichtet hat. Und doch gefallen sie. Freilich, in ein Landschaftsbild einordnen und unterwerfen muß sich jedes Bauwerk, aber von einem Dazupassen, wie ein Möbelstück zu einem anderen, davon kann nie die Rede sein. Oder hat schon jemand eine symmetrische Landschaft gesehen? Gewiß nicht, doch in der asymmetrischen Landschaft stehen oft herrliche barocke Schlösser — ganz symmetrisch!

Die Tradition finden!

Schloß Amras bei Innsbruck wurde nicht nur von Tiroler Künstlern gebaut, sondern auch von Italienern und Niederländern, und dieser Renaissancebau paßt ebenso in die Landschaft wie das barocke Stift Stams. Wenn sich in einem Ort eine gotische Kirche neben einem barocken Bürgerhaus gut verträgt, dann ist nicht einzüsehen, weshalb em moderner Bau au| ßrts- und Landschaftsbild verbannt sein soll. Gegensätzlicheres als der gotische und barocke Stil wird schwer zu finden sein — und doch gibt es in Österreich kaum eine Kirche der Gotik, in der nicht auch barocke Altäre Vorkommen. Nur wir, Österreicher des 20. Jahrhunderts, haben Angst vor der folgerichtigen Weiterentwicklung der Kunst, besonders der Architektur. Noch nie hat man hier eine so großartige Chance gehabt — doch du, unglückliches Österreich, kopierst Bauernhäuser. Es ist ganz egal, ob es sich um ein Espresso im Salzkammergut, um ein Hotel bei Zell am See oder um eine Tankstelle an der Arlbergstraße handelt, alle werden, wie das Wohnhaus eines Filmsternchens am Tegernsee, im Stil eines alpenländischen Bauernhauses — falsch — kopiert.

Daß dieser Unfug den Bauherrn und Architekten erlaubt wird, ist den Bürgermeistern und ihren Mannen der kleineren Gemeinden zu verdanken. Ja, manchmal zwingen sie sogar modern denkende Architekten zur Rückständigkeit, denn sie, die manchmal nur lesen und schreiben können, entscheiden, was gute und schlechte Architektur ist. Was dabei herauskommt, können wir jeden Sommer mit Entsetzen erneut „bewundern”. Einst wunderschöne Ortschaften, wie das steirische Ramsau, Filzmoos im Pongau oder Kitzbühel, sind heute nur mehr als häßlich zu bezeichnen. Die Tradition ist abgerissen und der Anschluß an neues Bauen nicht gefunden worden, denn das Geld kam schneller als die geistige Entwicklung. Um den Anschluß zu erreichen, müssen wir erst die Tradition wiederfinden. Das hieße aber nicht, das Haus des Bauern zu kopieren, sondern seine geistige Einstellung von einst wiederzufinden. Wenn jeder, wie er, sich überlegt, wer er ist, was er will, was er kann, dann kommen wir zu einer Art physiognomisches Bauen, in dem der einzige Ausweg aus dem architektonischen Chaos auf dem Lande zu finden wäre. Zur Zeit bleibt nur die vage Hoffnung, daß Peter Rosegger vielleicht doch unrecht gehabt habe…

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