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DER DRAGONER AUS TARRAGONA

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Der Schlagerindustrie haben wir nicht nur die herrlichen Reime „signore — amore“ und „Milano — Cinzano“ zu verdanken, sondern auch so manche andere anmutige Verknüpfung fremdländischer Worte und mehr oder minder ausgefallener Eigennamen. Diese Tradition reicht weit zurück bis in jene zwanziger Jahre, wo die Schlagertexte zumeist noch wirklich witzig waren und wo man dichtete: „Was macht der Mayer — am Himalaja, der kleine Mayer — auf dem großen Himalaja ? und munter drauflos kalauerte: „In Langen- lois, in Langenlois — da tanzt die Zenz mit’m langen Lois.. Nicht zu vergessen das geradezu unglaubliche „Ist denn kein Stuhl da — für meine Hulda?“

Diese Zeiten sind dahin, aber es ist nicht verwunderlich, daß Feinschmecker leichter Musik sich an Originalaufnahmen jener Platten und an leidlich getreuen Neufassungen mehr freuen als an jener gekünstelt und dennoch läppisch primitiven Texterei, die, mit Rock-’n’-roll-Rhythmen verbrämt, fälschlich als Teenager-Jargon serviert wird.

Die Eigennamen, männliche wie weibliche, sind jedoch nach wie vor ein Hauptingrediens aller Schlagertexte, und weil das Lokalkolorit nicht zu kurz kommen soll, werden auch eifrig Fremdenverkehrsorte mit hineinverwoben — von San Remo über den Wörther See bis nach Ragusa, das seit vielen Jahren nur Split heißt —, aber was läßt sich mit Split schon anfangen? Höchstens ein Fremdenverkehrswerbeslogan „Komm mit nach Split“, aber kein sentimentaler süßer Schlager. Bei den Eigennamen sind die gängigeren entweder schon „verheizt“ oder aber den Textern zu banal — oder zu reimspröde. Das letzte Argument wird wohl auch Grund dafür sein, daß ich bislang keinen Schlager gehört habe, der mich und die zahllosen anderen Helmuts besungen hätte. Wohl aber wurde die weiland klassisch-hellenische Jagdgöttin Diana besungen — freilich auf dem Umwege über USA, so daß sie in der deutschen Version die englische Aussprache beibehielt und somit als „Dayana“ auf uns gekommen ist.

Ein munter gereimtes schlichtes Mädchen hat uns seinerzeit eine der ersten deutschsprachigen Sambas beschert: die „Maria aus Bahia“, die mit Recht ein großer Erfolg wurde, den sie freilich mehr dem neuen Rhythmus als dem Text verdankte. In jüngster Zeit schienen aber diese klangvollen echten Reime abgekommen zu sein, und es blieb: „Sie war süß — denn sie war aus Parüs.“ Oder alliterationsähnliche Spielereien, wie „Er war ein Casa-Casa-Casanova aus Casa- Casa-Casablanca“, wobei die gestotterte Wiederholung vermutlich das Pseudo-Teenager-Gestammel-Rezept wiederholt: „Tee-Tee-Teenager-nager-Melodie..

Und doch gibt es noch so viele klangvolle Reime, die der Entdeckung, Vertonung und Verjukeboxung harren. Man sehe nur ein wenig auf dem Atlas, in den Fremdenverkehrsprospekten und bei den Modenamen ein wenig umher. Was wäre etwa mit Palma de Mallorca? „Auf Palma de Mallorca — da rauchte ich Machorka“ — nein, das geht nicht,

das ist zu düster und zu unwirtschaftswunderlich. Also reimen wir einfach Palma auf Alma. Alma gibt es wirklich, das ist ein weiblicher Vorname — siehe Alma Seidler: „Am weißen Meeresstrand von Palma traf ich die braungebrannte Alma “ Oder, um gleich die ganze Inselgruppe mitzunehmen: „Mit meiner lieben, süßen Karen — flieg ich heut auf die Balearen.“ Von wo? Nein, nicht von Barcelona („Mit Lona und mit Mona — scherzt ich in Barcelona“), sondern ausnahmsweise von Nizza. Und was tat ich vorher in Nizza? „Am Hauptbahnhof von Nizza — da speiste ich ‘ne Pizza.“ (Das finde ich besonders gut, denn hier wird in perfekter Schlagermanier Neapolitanisches mit Cöte d’Azur vermengt, und eine Grundregel besagt bekanntlich: „Es gibt nur ein einziges romanisches Mischland“, daher zum Beispiel senores und signori, signorine — Neoitalienisch: signoras — und senoritas jederzeit auswechselbar.)

Auf den Tragoner aus Tarragona habe ich mir erlaubt schon im Titel aufmerksam zu machen. Da auch Portugal als Modereiseland nicht unbesungen bleiben sollte (pardon, Alt- Lissabon wurde natürlich schon besungen), darf ich vielleicht vorschlagen: „Mit Jack und Bill — war ich am Estoril“, was sich dann weiterspinnen ließe: „Mit Bill und Jack fuhr ich tags drauf weg“ und weiter „Mit Jack und Bill — da schwamm ich dann im Nil.“ — Für Saint Tropez, das bekanntlich von den Experten zu „St. Trop“ abgekürzt wird, ließe sich recht passend reimen: „Bei der Bardot —’ in Saint Trop “, während die Anfangsworte für einen verschämt- kessen Teenagerschlager lauten könnten: „Am Strand von Bordighera, da traf ich meinen Lehrer. Da zeigt er mir ‘nen Trick, der war nicht aus Physik..

Schwieriger ist die Sache mit Alassio, es sei denn, wir wollten Shakespeare und Cassius bemühen und einen frechen pappagallo namens Cassio nach Alassio versetzen. Warum auch nicht: „In der Bodega von Alassio — küßt ich den schwarzgelockten Cassio.“ (Das ist wieder sehr gut, weil Bodega Spanisch und Alassio Italienisch ist. Dazu noch der klassische Cassio — was will man mehr?)

Auch den Fremdenverkehrsanstrengungen der Oststaaten müßte man ein wenig entgegenkommen: „In der Rote- Sterne-Bar — am gold’nen Strand von Nessebar “ oder koexistentialistisch „Die Olga und der Jim fahren heuer auf die Krim“.

Ja, die Welt ist weit, und wenn man sich den Atlas so recht besieht, dann harren noch viele Orte ihrer Entdeckung durch die Schlagerdichter. Wenn diese Zeilen ein nützlicher Beitrag dazu gewesen sein sollten, dann werde ich es mir zur Ehra anrechnen, bitte aber gleichzeitig um die Abrechnung von Tantiemen-Prozenten. Denn im „Frühling will ich nach Pesaro — dort brauch ich schrecklich viel Denaro“. Ja, ja, ich weiß schon: Pqsaro wird auf der ersten Silbe betont — aber seit wann muß ein Schlagertexter zugleich Sprachlehrer sein?I

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