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Der gekaufte Tod

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Ein Mann ging aus, um sich einen Tod zu kaufen. Der Verkäufer legte ihm verschiedene Stücke vor, darunter einen besonders großen, schrecklich blickenden Tod.

„Er ist preiswert und wird sehr gelobt. In letzter Zeit haben wir viele davon verkauft“, sagte er. „Es ist der sogenannte ,Heldentod1.“ „Ich fürchte mich vor diesem Tod“, sagte der Mann. „Nur ein Held kann ihn in seiner Nähe ertragen, aber ich bin kein Held."

Der Verkäufer zuckte die Achseln. „Er überfällt auch den Helden meist in einem Augenblick, wo er kein Held ist, sondern ein Mensch wie Sie, der sich fürchtet.“

.„Dann gibt es also gar keinen Heldentod“, staunte der Mann, „nun verstehe ich, warum

Sie ihn den ,sogenannten“ Heldentod nennen.“ „Doch“, erwiderte der Verkäufer, „es gibt schon einen. Aber höchst selten. Und der sieht ganz anders aus, er ist ziemlich unscheinbar und verzichtet auf alle Requisiten, die den ,sogenannten“ Heldentod so eindrucksvoll machen. Er hat auch keine Sense und kein Gebiß, sondern eigentlich nur ein paar Augen, die den Menschen ernst und fordernd anschauen. Und, unter uns gesagt, der ihn kauft, fürchtet sich wohl auch vor ihm, aber er kauft ihn trotzdem, denn wenn er ihn einmal angesehen hat, kann er sich der Forderung seiner Augen nicht mehr entziehen.“ „Zeigen Sie ihn mir lieber gar nicht“, sagt der Mann. „Das heißt, wenn er so selten ist, dann haben Sie wohl gar keinen auf Lager?" „Doch“, sagte der Verkäufer, „wir haben immer einen zur Verfügung, denn dieser Tod hat eine Eigenschaft, welche die wenigsten Tode haben: er läßt sich vermeiden. Wenn der Mensch, der ihn gekauft hat, Angst bekommt, so sehr, daß er ihn nicht mehr will, so kann er ihn, oft noch im letzten Augenblick, zurückschicken. Er bekommt dann einen anderen Tod dafür.“

„Dieser Tod will also nur wirklich ganz freiwillig auf sich genommen werden?“

„Ja.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgend jemand von seiner Freiheit, ihn zurückzuschicken, keinen Gebrauch macht.“

„Es kommt, wie gesagt, nur äußerst selten vor. Manche, die fürchten, schwach zu werden, lassen sich schon vorher mit einer Kette an ihn schmieden, damit sie dann gar nicht mehr auskommen können. Dann aber greift dieser Tod nicht zu, sondern geht nur immer mit ihnen und sieht sie an und zerrt ein wenig an der Kette. Und das hat schon manchen soweit getrieben, daß er zu uns kam und sich irgendeinen anderen Tod kaufte, der ihn erlöste. Der Heldentod aber kehrt dann zu uns zurück und wartet auf einen, der ihn wirklich, auch ohne Kette, will.“

„Man muß es sich sehr gut überlegen, welchen Tod man will“, sagte der Mann. „Ich weiß eigentlich nicht recht — am liebsten würde ich einen milden Aiterstod nehmen, oder glauben Sie, daß ein Blitztod oder etwas ähnliches angenehmer ist?“

„Sie müssen sich gar nicht entscheiden“, tagte der Verkäufer freundlich. „Kommen Sie später wieder, Sie werden jedenfalls bei uns den Tod finden, der zu Ihnen paßt. Die meisten verlassen sich darauf, daß schon einmal irgendeiner mit Ihnen mitgehen wird, den sie gar nicht gewollt haben. Aber er läßt sich nicht abweisen.“

„Das ist eigentlich das beste“, sagte der Mann. „Ich will gar nicht weiter daran denken. Leben Sie wohl!“

„Leben Sie wohl!“ sagte der Verkäufer ernst.

Der Mann lachte. „Leben ja natürlich! Jetzt habe ich mir ja das Geld für meinen Tod erspart und kann mir dafür ein Leben kaufen, wie ich es mir wünsche.“

„Das Geschäft ist gleich gegenüber“, sagte der Verkäufer zuvorkommend.

Der Mann betrat gleich darauf den Laden gegenüber und ließ sich die schönsten Leben zeigen. Nach langer Wahl hatte er sich für ein Leben voll Genuß und Vergnügen entschieden. Als er es bezahlt hatte und mit ihm die Straße betrat, öffnete sich die Tür des Todesladens und ein höchst mittelmäßiger, verbrauchter Tod trat heraus und kam rasch auf ihn zu.

„Was willst du?“ schrie der Mann. „Ich habe dich nicht gekauft!“

„Doch“, sagte der Verkäufer, der dem Tod bis unter die Ladentür gefolgt war. „Wissen Sie nicht, daß man immer mit seinem Leben den Tod zugleich bezahlt?"

„Das sind platte Gemeinsätze" rief der Mann. Der Tod aber hob die Sense und streckte ihn nieder.

Die Verkäuferin aus dem Laden des Lebens war ebenfalls herausgetreten. Sie sagte kopfschüttelnd: „Daß sie nie verstehen, daß man Tod und Leben gleichzeitig kauft!“

„Das kommt daher“, sagte der Verkäufer, „daß sie uns für Geschäfte halten, die einander Konkurrenz machen.“

„Dabei ist es doch ganz klar, daß wir Hand in Hand arbeiten“, nickte die Verkäuferin. „Schließlich gehören wir ja beide demselben Eigentümer.“

„Was kann ein Krämer von der höheren Oekonomie wissen?" murmelte der Verkäufer, und begab sich in seinen Laden zurück.

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