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Der Held

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Krumm und bucklig sind die Wege zum Ruhm. Ein Schneidergeselle aus der nächsten Umgebung von Schiida aber sollte ihn auf eine ganz besonders ungewöhnliche Art erwerben. Durch eine Tat, die viel von sich reden machte und die wirklich einen gewissen Seltenheitswert für sich beanspruchen kann.

Es waren schlimme Zeitläufte damals. Von Dieben und Räubern wimmelte es nur so. (Was es heute nicht mehr gibt.) Man sah sich also vor. Mancher durchaus friedliche Bürger trug in jener Zeit seine Waffe locker im Hosensack; etwas bänglich freilich; denn damals gingen noch gar nicht wenige dieser unverläßlichen.. Dinger heimtückisch nach hinten los. So ein tapfer Bewehrter war dann immer insgeheim froh, wenn er seine Schutzwaffe nicht hatte gebrauchen müssen, wenn er wieder einmal heil und ungefährdet durch die Dunkelheit gekommen war, und wurde eigentlioh erst wieder mutig, wenn er bierselig am Stammtisch saß. (Was alles es, wie gesagt, heute nicht mehr gibt.)

Es fügte sich, daß unser Geselle, ein ausgemachter Hasenfuß, ob er nun wollte oder nicht, spät abends noch liefern gehen mußte, querfeldein, nach Schilda. Er hatte sich das Kleiderbündel über den linken Arm gehängt. Die rechte Hand hielt er sich frei; denn er trug des Meisters Terzerol in der Tasche.

In der Nähe des Stadtgrabens, bei den Büschen, schwankte im Finstern ein Mann direkt auf ihn zu und schwenkte etwas in der Hand. Was konnte der anderes sein als ein Räuber, der ihn kaltmachen wolltel Dem Gesellen schlotterten alle Glieder. Nun hatte jener freilich einmal ausnahmsweise nichts weiter vorgehabt, als ihn um Feuer anzusprechen für seine ausgegangene Pfeife. (Der geneigte Leser verzeihe einen etwaigen Anachronismus; es handelt sich ganz und gar um eine Anekdote, und die Zeiten vermischen und verwischen sich darin!)

Der Mann bekam auch sein Feuer. Aber anders, als er erwartet hatte. Nämlich brennheiß aus dem Terzerol. Der Geselle, in seiner Todesanr ?t dessen völlig gewiß, daß er ansonsten umgelegt und ausgeplündert werde, hatte kurzerhand sein Kracheisen gezogen, die Augen zugemacht und auf alle Fälle abgedrückt, ging die Sache nun schief oder gerade.

Als der Geselle endlich die Augen wieder auftat, von dem Knall noch sehr mitgenommen, und sah, daß der Mann vor ihm zusammengesackt war, wurde es ihm, so mir nichts dir nichts zum Totschläger geworden, gleich noch schwärzer vor den Augen, er wurde womöglich noch schwächer in den Knien und setzte sich zitternd an den Straßenrand, weil er mußte. Um keinen Preis der Welt wäre er imstande gewesen, noch zwei Schritte voran zu tun. Der kalte Schweiß brach ihm aus allen Poren. Es wurde ihm so übel, daß er sich einige Male hintereinander erbrach.

Von dem Knall war die Stadtwache alarmiert worden, die eben die Runde machte. Sie kam, nicht gerade eilig, herbei.

Ja, so viel Zeit blieb unserem Gesellen immerhin noch, daß er sich etwas fassen, sich mühselig erheben konnte, daß er doch wenigstens wieder aufrecht stand, als ihm der Lichtschein der ersten Laterne mitten ins Gesicht fiel.

Die Männer, die sich inzwischen um den Toten bemühten, murmelten mit einemmal aufgeregt untereinander dessen Namen. Der da vor ihnen lag, war ein seit Tagen gesuchter entsprungener Häftling, ein ganz schwerer Bursche, ein gerissener Galgenstrick, längst an den Henker verloren und vogelfrei. Eine hohe Belohnung war demjenigen zugedacht, der ihn so oder so zur Strecke brächte.

Was Wunder, daß sie den Schützen auf der Stelle mit großer Höflichkeit einluden, ihnen zu folgen. Worüber der sich wunderte, nämlich über ihre Höflichkeit. Gottergeben schritt er schweigend in ihrer Mitte. Aber Stück für Stück gingen ihm jetzt die Zusammenhänge auf. Da wurde er zunehmend beherzter. Ja, als ihm gar auf dem Rathaus in dieser dunklen Sache das volle Licht angesteckt wurde, da war er bereits innerlich so weit, um sich mit einiger Würde, wenn auch bescheiden abwehrend, als Helden feiern zu lassen. Und nun fand der Gute, ei wohl, auch seine Sprache wieder! Er redete viel und lang.

Als er bald darauf überdies in der Zeitung stand und eine Medaille bekam (was alles es heute und gar bei uns nicht mehr gibt), ging er seither mit viel steiferen Beinen über die Straße. Auch tat es ihm sichtlich wohl, wenn vor oder hinter ihm die Jungen, denen er begegnete, einander flüsternd anstießen; aus einer Art Ehrfurcht heraus und zugleich ingrimmig entschlossen, sich ihn zum Vorbild zu nehmen, den berühmten Mann.

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