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Der Kriminalfilm wird problematisch

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Die empfindlichen Erdbebeninstrumente der Metropole Hollywood verzeichnen seit geraumer Zeit wachsenden Widerstand gegen die kalte Kriminalfilmkonfektion. Ganz opfern will und kann man die zugkräftige Gattung nicht. Also — ein zarler Wink an die Autoren, und der Kriminalfilm wird problematisch: psychologisch, pathologisch, literarisch, weltanschaulich, politisch.

„Crossfire“ („Kreuzfeuer“), nimmt den Antisemitismus aufs Korn und berichtet von dem blindwütigen Judenhaß eines Soldaten, der in vorgeschrittenem Zustande einen harmlosen Zivilisten provoziert und schließlich ermordet. Mit einer Offenheit, die einem stellenweise den Atem verschlägt, werden Nachkriegszustände der amerikanischen Armee diskutiert. Trotz diesem Freimut erscheint das Thema zu subtil und bedeutend für einen geschickt gemachten Thriller und mutet, in dieser Form der durchsichtigen Tarnung des kühl errechneten Sensationskitzels, irgendwie hinterhältig an. G. W. Pabsts österreichische Fassung, „Der Prozeß“, war sauberer und aufrichtiger. Wir Wilden sind doch ...

Graham Greenes verfilmtes „Zerbrochenes Idol“ („Kleines Herz in Not“) hat eine Nachfolge gefunden: den amerikanischen Film „Das unheimliche Fenster“. Das verästelte Motiv Greenes ist auf die handsfeste Formel „Wer einmal lügt ...“ zurückgezogen worden, das Kriminell-Spannende überwuchert das Problematische, geblieben aber ist das flackernde Licht- und Schattenspiel zwischen Traumwelt und Wirklichkeit, der Zusammenstoß zwischen der Welt des Kindes und der neunmal klugen der Erwachsenen, hier durch das natürliche Spiel eines Jungen fast noch sichtbarer, spürbarer als im Greene-Film. Ein interessanter, sehenswerter Film.

An eines der schwierigsten Zeitprobleme von gestern, die Tragödie des NS-Gefolgs-mannes wider Willen, hier des graphischen Arbeiters Belinke, der um Arbeit und Ruhe Willen in die „Bewegung“ und damit stufenweise in die Katastrophe schlittert, wagt sich der ostdeutsche Film „Rotation“, inszeniert ohne den hinreißenden Schwung im ganzen, aber mit gleich starken und filmisch einprägsamen Details von dem Regisseur des Films „Die Mörder sind unter uns“. Die Aktualität des Themas ist leicht vergilbt — oder stark verfrüht.

„Seitengassen des Lebens, eine der unzähligen Filmvariationen zum Thema „Ehedreieck“, verlegt den Schwerpunkt auf das bittere Beiseitestehenmüssen der Ehestörerin und enthält damit ein Körnchen realster Zweckmoral. Die Verdeckung des Schuldproblems durch fatalistische und sentimentale Züge fordert jedoch zu Vorbehalten heraus. Gedämpfte Regie, kultiviertes Spiel.

Unter zwei Musik- und Revuefilmen repräsentiert „Rendezvous mit Judith“ die saubere, gefällige Note, der andere, „D i e tolle Miß“, gesteht freimütig in der zu Tode gereimten und gesungenen Samba-Schlagerzeile „Ay, ay, ay, Maria, Maria aus Bahia“ seine geistige Herkunft —1 ein Milderungsgrund, der bei Bemessung des Strafausmaßes in die Waage zu werfen ist.

Eine vielbesprochene unglückliche Europavortragsreise Elisabeth Bergners, der Wienbesuch Douglas Fairbanks' und eine unverkennbare Ebbe im derzeitigen Kinoprogramm kann man als Rechtfertigung für die Wiederaufführung des englischen Films „Katharina die Große“ gelten lassen, dessen Wiener Erstaufführung gerade am 1 .März ihren 15. Jahrestag feiert. Die Große Katharina ist ein Paradestoff für Regisseure und Darstellerinnen, die sich den ungeheuren Stoff schon mehrmals zurechtgeknetet haben; am freimütigsten, unbekümmertsten wohl hier: einmal, weil dieser Film nur das Vorspiel der tatenreichen Regierung der Zarin darstellt (von der ersten Begegnung des Zarewitsch-Hamlet Peter mit der anhalt-zerbsti sehen Prinzessin bis zum Gardeputsch 1762, der mit Katharinas Machtergreifung und Peters Tod endete), und dann, weil der Hauptdarstellerin zuliebe das gewaltige Porträt Katharinas auf die (innere und äußere) Filigranmaske der Bergner zugeschnitten wird. Das ergibt wohl eine filmgerechte Konzentration, eine Charakterstudie von reizvoller, nervös-neurastheni-scher Spannung, aber von der geschichtlichen Wahrheit ist diese aparte Novellette so weit entfernt wie ein Diwanzötchen aus dem „Dr. Faust“ 1950 zu dem gleichnamigen Drama eines bekannten Weimarer Klassikers.

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