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Die Brücke

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(2. Fortsetzung)

Im Museum waren sie einander zuerst begegnet. Sie hatte ich damals in ein Breughel-Bild vertieft, das ihr in seiner unerschöpflichen Vielfalt und Vielgestaltigkeit immer neue Dinge zeigte und während sie ganz verloren vor diesem Bilde die Zeit vergaß, hatte Norbert sie gezeichnet. „Hohenstaufenkaiserin“ war sie genannt worden. Sein Malerauge hatte die Wandelbarkeit ihres Gesichtes entdeckt und ihr geoffenbart. Es sollte sich jetzt wieder wandeln können, es sollte wieder froh und unbeschwert sein! Wie könnte sie ihr einstiges Gesicht zurückgewinnen? Sie hatte nicht die Macht, das Leben zu ändern, das nun einmal hereingebrochen war über diese Zeit.

Sie hätte Norbert gern den Garten gezeigt, ihre Beete, damit er sich mitfreue an dem Erfolg. Aber seine vollendete Höflichkeit erstickte jede Möglichkeit einer Annäherung.

Norbert hatte früher neben seiner künstlerischen Arbeit auch viel über Chemie studiert und seine Bücher, die er sich im Laufe der Zeit erworben hatte, waren in der gefährlichen Zeit von seiner Frau in dem festen, geräumigen Keller in guten Kisten sorgfältig verpackt worden. Nun sollte dieser Keller endlich freigelegt werden. Mit jedem Tage aber, der Norbert der Enthüllung dieses Kellers näherbrachte, wurde er unruhiger. Er fing an, neben seiner Höflichkeit in scharfem Ton nach dem und jenem zu fragen, ob Elsbeth es geborgen habe. Und wenn sie es nicht wußte, schwieg er auf eine gereizte Art, oder er machte ihr den Vorwurf, sie habe schlecht gewählt, wie eben Frauen Wichtiges und Unwichtiges nicht entscheiden könnten. Sicher habe sie seine Briefe aufgehoben und die Schriften seiner Mutter nicht geachtet. Elsbeth erinnerte sich nicht an solche, wußte auch nichts von ihrem Vorhandensein. Er schwieg und mußte innerlich zugeben, daß die Zeit, die sie gehabt hatte, ihn und seine Herkunft kennenzulernen, zu kurz gewesen war. Jede Entfaltung war im Werden zerstört worden und es stand ihm nicht zu, ihr aus dem Nichtwissen einen Vorwurf zu machen.

„Willst du mir nicht von deiner Mutter erzählen?“ bat sie einmal, als er wieder nach Dingen fragte, die sie nicht kannte.

„Das ist schwer, weil du sic nie gesehen hast!“

„Wie soll ich aber je zu ihr finden, wenn du sie mir nicht nahebnngst?“

„Meine Mutter war ein fröhliches, gütiges Wesen, der alles leicht fiel, was eie angriff. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie in irgendeiner Lebenslage nicht mit Anmut bestanden hätte!“

Elsbeth schwieg mit gesenktem Haupte. Es schien ihr alles, was Norbert sagte, nur gesagt, um ihr zu zeigen, wie falsch sie alles mache und wie wenig sie seiner Mutter gleiche.

„Glaubst du, daß deine Mutter auch bestanden hätte, wenn sie alles verloren hätte, was das Leben zu einem persönlichen Leben machen kann — Raum und Hausrat — und eigene Form?“ -

Norbert horchte auf. Sein Herz schlug. Ja — das war es, was auch auf ihm lastete. Seine eigne Form haben, das mußte man können. Aber das war für sie vorläufig vorbei. Und für ihn? Er hatte die Möglichkeit noch in seinem Sdinitzmesser. Er antwortete so lange nicht auf ihre Frage, daß sie keine Antwort mehr erwartete. Sie war es ja nun schon lange gewohnt, daß er nie ein Gespräch führte, daß ihm die Worte nur zur Verständigung dienten. Sie sah deshalb verwundert auf, als er mit einem neuen Ton in der Stimme sagte: „Elsbeth, das weiß ich allerdings nicht! Die Mutter zu denken, ohne die gewohnte schöne Umgebung, ist mir schwer.“ Elsbeth schwieg, denn sie hätte weinen mögen. Und dabei schwebte ihr das eigene frohe Gesicht von einst als ihr verlorenes Ebenbild vor, wie ein Frühlingstraum, der einem Helle und Wärme vorzaubert in langen nebligen Wintern. Norbert aber mußte an seine kleine Freundin denken, die eine leichte, fröhliche Anmut besaß und ihm schwere Gedanken zu vertreiben verstand. Aber es fiel ihm zum erstenmal auf, daß ein Wort, wie das von Elsbeth, daß man zum Leben die eigene Form brauche, undenkbar war bei der Freundin. Sie war ein Geschöpf des Tages, gefällig in allen Formen der Mode und ohne jeden eigenen Willen. Der Duft ihrer frischen Haut, der Glanz ihrer jungen Zähne, der weiche Schimmer ihres Haares, das vollendet geordnet war von einem der vielen Friseure der Stadt, schienen ihm zum ersten Male etwas schablonenhaft. Aber; ihr Frohsinn, ihr Lachen waren ihm lieb, denn Frohsinn und Lachen sind wie Sonnenschein und erheischfn keine Form, als die der Anmut eines Kätzchens. W ; aber sollte Elsbeth nach allem, was ihr begegnet sein mochte, solchen Frohsinn finden? Vielleicht — wenn sie fröhlich und leicht sich in alles fügen würde —, vielleicht würde es ihm sogar mißfallen? Aber — ihr Gesicht war nur schön, wenn sie auf der Höhe ihres ureigenen Lebens sein konnte und in der Fröhlichkeit eines schönen innereu Ebenmaßes erstrahlen durfte. Aber wenn sie litt, war sie nicht schön. War das alles?

Norbert sah ganz klar, daß dies die kalte Tatsache war und daß er daran nichts ändern konnte. Es mußte anderes sich entfalten zwischen ihnen. Aber damals, als der Schimmer der Liebe alles erleichtert hätte, war das fremde Muß gekommen und hatte es zerrissen. Und nun war die Liebe in den Jahren der Trennung verloren, verblichen. „Ist dies das Schicksal in der eigenein Brust?“ fragte nun auch er und sagte sich, daß es an ihm sei, ‘es zu gestalten. Sollte ihn da sein Auge daran hindern? Norbert war von je ein Freund der Wahrhaftigkeit gewesen. Und so sah er einer Medusenwahrheit ins Antlitz. Und diese Wahrheit empörte ihn.

Wie waren seine Eltern eins gewesen! Norbert hatte, so lange er denken konnte, nichts anderes gesehen, als dieses liebe und freundliche Einvernehmen, dieses Ruhen des einen im andern, so daß er sich unwillkürlich vorgestellt hatte, eine Ehe sei etwas selbstverständlich Gutes und den Menschen Befriedendes, die eigentliche Urheimat.

Norbert war ein spätes Kind gewesen. Er hatte Geschwister, aber Jahre vor seiner Geburt waren sie gestorben. In seine Kindheit waren keine Unglücksschläge mehr gefallen, er hatte nur die Klarheit der späteren Jahre gekannt.

Seine Mutter hatte ein Tagebuch geführt, das sieh über viele Jahre erstreckte. Sie hatte dann und wann, wenn sie ein Erlebnis sehr beschäftigte, versucht, es zu gestalten, und dies dann in eine Mappe gelegt und aufgehoben, wenn es ihr liebgeworden war. Es war eine schmale Mappe gewesen und vielleicht war sie noch da? Vielleicht aber war sie vergessen in einer Lade liegen geblieben und von der Technik des neuen Jahrhunderts in Staub verwandelt worden, wie so vieles, was Gestalt war und Wesen und nun im Gestaltlosen und Wesenlosen verging, als sei es nichts in einem leeren Raume, der kein Echo hat und kein Ende. Und die bleibende Spur, die er wohl in sich trug? Würde sie je eindringen in das Herz der Frau, die ihm verschlossen blieb, weil ihr Antlitz ihm die Schönheit versagte? Er schnitzte Köpfe und verkaufte sie, aber seine Bekannten sagten: „Er hat keine persönliche Note mehr, er macht Puppenköpfe.“

Die kleine Hilda aber kam ihm immer näher. Sie war viel in der Werkstätte und wurde nicht müde, dem Vater bei der Arbeit zuzusehen. Sie versuchte auch selber manches einfache Schnitzwerk. Einmal verlangte sie vom Vater eine Puppe, die so aussehen müsse wie die Mutter. „Die muß dann die Mutter von allen anderen Puppen sein! Die Mutter!“ sagte sie, und dabei war es, als spreche sie den Namen der Mutter aus wie einen Inbegriff.

Norbert fühlte, daß er sich erweisen mußte an dieser Forderung. Er schnitzte lange und sorgfältig und grub tief in sich nach dem Antlitz der verschollenen Kaiserin mit den lächelnden Wangen, nach der Eis- ebth von einst, wie er sie damals im Museum gesehen und gezeichnet hatte. Wo mochten diese Bilder sein? Vielleicht kamen sie hervor aus dem verschütteten Keller? Seine Ungeduld wuchs, und als die Männer zu graben anfingen, war er zehnmal des Tages dort.

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