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Die erste Liebe

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Gewöhnlich sprirht man nicht darüber, wie es kam, daß das Herz höher schlug, es ist tabu und wird in den Schrein der seligen Erinnerungen versenkt. Aber wenn die erste Liebe älter als alt ist, fast aus grauer Vorzeit stammt, dann kann man ruhig davon plaudern. Ich habe das Licht der Welt an einem der schönsten Plätze von Wien erblickt — dem Minoritenplatz —, in einem nicht mehr bestehendem Haus, das dem Anbau des Unterrichtsministeriums weichen mußte. Jeder Winkel dort mit seinen barocken Kleinodien, jeden Mauervorsprung, alle Figuren und Vasen der Palais und die Linien der Kirche haben sich mir unauslöschlich eingeprägt, und im Schlaf könnte ich sie noch zeichnen. Den Gründonnerstag brachte ich immer am Fenster zu, um die Glocken der Minoriten nach Rom fliegen zu sehen, aber den richtigen Moment versäumte ich offenbar doch.

Ich stamme ja nicht gerade aus der Zeit von Fischer von Erlach oder Hildebrand, aber ich kann mich noch erinnern, daß eine der alten, wahrscheinlich verkühlten Gräfinnen sich vom Palais in die Kirche in einer schwarzen Sänfte tragen ließ, was mein Interesse ungemein fesselte. Auch fuhren zu Ostern immer die Glaswagen der adeligen Familien auf dem Platz vor — eine versunkene Pracht, die in alten Remisen verstaubt wie so viele herrliche Erlebnisse und Eindrücke.

Noch lang, lang vor der Schulzeit verliebte ich mich also sterblich in — einen Portier. Es war ein außergewöhnlicher Mensch, ein Unikum von Portier — und er stand immer meinen entzückten Augen erreichbar vor einem der altersgrauen Palais. Für mir*“ war er wohl das Juwel des Minoritenplatzes, und die edle Architektur verblaßte vor dem Gebäude seiner Livree. Ein zinnoberroter, langer Mantel, Dreispitz und der prachtvolle Stock mit Süberqtiaste und Schnur — es war alles unbeschreiblich schön, aber das fesselndste war der enorme, schwarze Pelzkragen, der eine ganze Familie hätte erwärmen können, und neben dem ein Gnu als zarte Gazelle erschienen wäre. Diesem roten Portier gehörte mein ganzes Herz, und da ich zur Zeit dieser frühreifen Liebe noch nicht einmal ordentlich sprechen konnte, so gab ich meinem, mich sehr verwöhnendem Vater den Wunsch sehr lebhaft kund: „Roten Porteier — haban wollen!“ Es muß nicht so geklungen haben, als ob ich mich etwa mit einer Puppe oder einem Wurstel hätte abspeisen lassen, sondern ich erklärte deutlich, daß ich ohne diesen Mann nicht leben könne. Nun begann ein Dauerlauf meines Vaters durch die ganze Stadt, nur dem Run mit dem olympischen Feuer vergleichbar, vom damals noch florierenden Puppenkönig am Graben zum Mühlhauser in der Kärntnerstraße, ja ich glaube er kam bis nach Meidling und Ottakring auf der Suche nach dem Ebenbild seines zukünftigen Schwiegersohnes. Keine Spielwarenhandlung muß vor ihm sicher gewesen sein und vielleicht ist er mehrmals im selben Geschäft erschienen in der Hoffnung, daß in der Zwischenzeit doch noch ein roter Portier gebaut worden war. Am Ende hat man den armen Vater mitleidig für einen Geistesgestörten gehalten und nachsichtig gelächelt, als er immer wieder kam. Nie hat er snäter sich so intensiv um einen f-hwiegersohn bemüht, aber er hatte auch t .-merkt, daß ich. als ich älter wurde, nicht mehr absolut auf einer roten Livree. Pelzkragen und Dreispitz bestand.

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