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Digital In Arbeit

Die Hirtentoditer

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Es ist die Meinung meiner Großmutter, Gott segne sie, daß alle Menschen arbeiten sollten, und bei Tisch sagte sie vor einem Augenblick zu mir: „Du mußt lernen, irgendeine anständige Arbeit zu verrichten, etwas zu machen, was den Menschen nützlich ist, etwas aus Ton oder aus Holz oder Metall oder Stoff. Es ziemt sich nicht für einen jungen Mann, kein ehrbares Handwerk zu können. Gibt es etwas, was du machen kannst? Kannst du einen simplen Tisch machen, einen Sessel, eine einfache Schüssel, einen Teppich, eine Kaffeekanne? Gibt es da etwas, was du machen kannst?“

Und meine Großmutter sah mich voll Ärger an.

„Ich weiß“, sagte sie, „man nimmt von dir an, du seist ein Schriftsteller. Und ich nehme an, du bist einer. Gewißlich rauchst du genügend Zigaretten, um irgend etwas zu sein, und das ganze Haus ist voll von dem Rauch. Aber du mußt lernen, solide Dinge zu machen, Dinge, die man gebrauchen kann, die man sehen und berühren kann.

Es war einmal ein König der Perser“, sagte meine Großmutter, „und er hatte einen Sohn. Dieser Junge verliebte sich in eine Hirtentochter. Er ging zu seinem Vater und sagte: .Mylord, ich liebe eine Hirtentochter und ich möchte sie zur Frau haben.' Und der König sagte: ,Ich bin König und du bist mein Sohn, und wenn ich sterbe wirst du König werden. Wie könnte es da sein, daß du die Tocher da sein“, tröstet er und weiß doch nicht, was er sagt in seiner herzschweren Not.

„Nimm sie mir nicht“, betet er, „du darfst sie mir nicht nehmen“, wehrt er sich verzweifelt gegen etwas, das stärker ist als er.

Er legt ein kaltes Tuch auf Agnes' Stirne, er streichelt ihre Hände und holt Tropfen aus dem Gläserkastl. Oh, er weiß in dieser Stunde nicht, wofür sie Agnes helfen sollen, aber er muß etwas tun, schon darin liegt eine Art Tröstung.

Den Stubenboden wäscht er auf und rennt inzwischen oft und oft zur Tür.

Der Doktor muß doch kommen.

Und wenn Agnes aufschreit, läßt er alles liegen und beugt sich über sie: „Gleich wird es gut sein, wenn der Doktor da ist.“

Der Nachtsturm rauscht ungebärdig durch das Wäldchen und auf den Garten fällt der schwere Regen nieder.

Nun ist es da, das Kind, das Mädchen, das Agnes sich so sehr gewünscht. Simon legt es aufs Deckbett.

Er umfängt mit beiden Händen das wachsweiße Gesicht seiner Frau. „Nun wird alles gut, Agnes“, sagt er.

Da tost und donnert der Zug über das Geleise. Er ist vorüber, nur die Fenster klirren noch leise.

„Hörst du — Simon — der Zug —, flüstert Agnes mit angstweiten Augen. Der Zug — und niemand ist im Blockhaus, niemand stellt die Weichen, schließt die Schranken an der Landstraße.

Niemand!

Simon weiß nicht, ob er es geschrien oder nur gedacht in seinem Entsetzen. Er stürzt zur Tür.

Da steht der Doktor.

„Na also —“, sagt er aufatmend und beugt sich lächelnd über das schreiende Kind, „da wären wir ja, kleines Mädchen“, und schon steht er bei Agnes, legt den weißen Mantel an und schickt Joseph in die Stube hinaus.

Simon ist nicht mehr da. Er rennt in die finstere Nacht. Er hastet und stolpert, als könne er viele Menschen noch vor dem Tode bewahren. Dort ist das Blockhaus. Er wischt über die Augen, dort drinnen ist Licht!

Baumer steht da vor den Hebeln und Tastern, wie einer, der Wache hält. Er dreht sich langsam nach dem keuchenden Simon um, nimmt die Kappe vom Kopf, die Simon vergessen hatte, legt sie achtsam auf den Tisch und geht wortlos hinaus in die Nacht, aufrecht und ohne Hast. „Baumerl“ schreit Simon, „Baumerl“

Keiner antwortet. Nur der Wind wirft den Regen durch die offene Tür auf den Boden, wo eben noch einer stand, um da zu sein in einer guten Stunde für den anderen und sich selber zum ruhsamen Trost. ter eines Hirten heiratest?' Und der Sohn sagte: .Mylord, ich weiß es nicht, aber ich weiß, daß ich dieses Mädchen liebe und sie zu meiner Königin haben möchte.“

Der König sah, daß seines Sohnes Liebe für das Mädchen von Gott war, und er sagte: ,Ich werde Botschaft an sie senden.' Und er rief einen Boten zu sich und er sagte: .Gehe zu der Hirtentochter und sage, daß mein Sohn sie liebt und sie zur Frau haben will.' Und der Bote ging zu dem Mädchen und er sagte: ,Der Königssohn liebt dich und er möchte dich zur Frau haben.' Und das Mädchen sagte: ,Was für eine Arbeit verrichtet er?' Und der Bote sagte: ,Nun, er ist der Sohn des Königs! Er verrichtet keine Arbeit.' Und das Mädchen sagte: ,Er muß lernen, irgendeine Arbeit zu tun.' Und der Bote kehrte zum König zurück und sprach die Worte der Hirtentochter.

Der König sagte zu seinem Sohn: ,Die Hirtentochter möchte, daß du ein Handwerk lernst. Möchtest du sie noch immer zur Frau?' Und der Sohn sagte: ,Ja! Ich werde lernen, Strohteppiche zu weben.' Man lehrte den Jungen, Teppiche aus Stroh zu weben, in Mustern und in Farben und mit Ornamenten. Und am Ende dreier Tage machte er schöne Strohteppiche, und der Bote kehrte zu der Hirtentochter zurück und sagte: .Diese Teppiche von Stroh sind das Werk des Königssohnes.'

Und das Mädchen ging mit dem Boten zum Palast und wurde die Frau des Königssohnes.

Eines Tages“, sagte meine Großmutter, „spazierte der Königssohn durch die Straßen von Bagdad, und er kam an eine Speisestätte, die so reinlich und kühl war, daß er eintrat und an einem Tisch Platz nahm.

Diese Stätte“, sagte meine Großmutter, „war eine Stätte von Dieben und Mördern, und sie nahmen den Königssohn und steckten ihn in einen großen Kerker, wo viele große Männer der Stadt gefangengehalten wurden. Und die Diebe und Mörder pflegten die Fettesten der Männer zu töten und an die Magersten zu verfüttern und machten sich einen Spaß daraus. Der Königssohn war einer der Magersten unter den Männern, und es war nicht bekannt, daß er der Sohn des Königs der Perser war. So wurde sein Leben geschont, und er sagte zu den Dieben und Mördern: ,Ich bin Weber von Strohteppichen und diese Teppiche haben einen großen Wert. Und sie brachten ihm Stroh und baten ihn zu weben, und in drei Tagen webte er drei Teppiche und er sagte: .Tragt diese Teppiche zum Palast des Königs der Perser. Für jeden Teppich wird er euch 100 goldene Geldstücke geben.' Und die Teppiche wurden zum Palast des Königs getragen, und als der König die Teppiche sah, sah er, daß sie das Werk seines Sohnes waren.

Und er trug die Teppiche zur Hirtentochter und er sagte: .Diese Teppiche wurden zum Palast gebracht, und sie sind das Werk meines Sohnes, welcher verloren ist.' Und die Hirtentochter nahm jeden Teppich und sah ihn genau an, und in jedem Muster eines jeden Teppichs sah sie in der geschriebenen Sprache der Perser eine Botschaft ihres Gatten und sie übertrug diese Botschaft dem König.

Und der König“, sagte meine Großmutter, „sandte viele Soldaten an die Stätte der Diebe und Mörder, und die Soldaten retteten all die Gefangenen und töteten all die Diebe und Mörder. Der Sohn des Königs wurde wohlbehalten zum Palast seines Vater zurückgebracht und zu seiner Frau, der kleinen Hirtentochter. Und als der Junge den Palast betrat und seine Frau wiedersah, beugte er sich demütig vor ihr und umarmte ihre Füße und er sagte: .Meine Liebe, dir verdanke ich, daß ich noch lebe', und der König war von Herzen zufrieden mit der Hirtentochter.

Nun“, sagte meine Großmutter, „verstehst du, warum jeder Mensch ein ehrenhaftes Handwerk lernen soll?“

„Ich verstehe durchaus“, sagte ich, „und sobald ich genügend Geld verdiene, um eine Säge und einen Hammer und ein Stück Tischlerholz kaufen kann, werde ich mein Bestes tun, um einen einfachen Sessel oder eine Büchrstellage zu machen.“

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