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Die Keusche

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Grmač hat seine Keusche am Abhang.

Wie ein zusammengebundener Korb sieht sie aus. Ein Strohdach, Fensterchen, durch welche man kaum seine Faust durchzwängt, Balkenwände, die vor Alter braun leuchten. Am Kammerfenster blinzelt rot eine Fuchsie.

Grmač sitzt auf der Bank vor seinem Häuschen. Im Tal steht die St.-Martins- Kirche, das Pfarrhaus und die sorgfältig bebauten Besitze des Peter, des Jask, des Dev, des Ožbovc und des Ceglar.

Den Ceglarbesitz sieht Grmač am besten. Ein aufgeblähtes rotes Dach, große Fenster, in denen sich die Sonne spiegelt. Im Hofe steht ein Kastanienbaum.

„Meine Keusche ist wie ein Gallapfel“, kommt es Grmač zum Bewußtsein. „Die Küche ist rauchgeschwärzt, die Wände glänzen vor Ruß. Hier ist kein Leben. Selbst die Katze streicht lieber ins Tal. Ich ver-

kaufe, und Amen! Dem Ceglar verkaufe ich, so wie wir ausgemacht haben. Er schiebt mir die Hunderter zu und ich gebe ihm den Schlüssel und dann ,Ade‘, mein lieber Breg!“ Doch nicht ganz wohl ist es Grrnac dabei. Schließlich ist es nicht so leicht, Abschied zu nehmen vom Haus, wo man geboren wurde und wo man aufwuchs.

Es riecht nach Hollunder. Der gab immer Tee für den Winter.

Beklemmend und eng wird es Grmač. „Zu tief am Abhang liegt diese Keusche, doch aus dem Tal sieht sie freundlich aus. Besonders, wenn die Sonne darauf trifft.“

Aufstehen muß Grmač. „Wenn man so recht nimmt, ist ja das Häuschen gar nicht so übel. Die Fensterchen sind wirklich klein, doch gerade recht. Wie Augen. Das Dach. No, ein Strohdach, doch es läßt keine Nässe durch. Das Gärtchen ist schön. Etwas Buchsbaum, Melisse, Pfefferminz, am Eck Kamillen, wilde Rebe und ein Gemüsebeet.“

Grmač hat alles so gelassen, wie es die Mutter ordnete. Nichts wurde geändert. Mutter hatte die Heilkräuter gerne beim Haus, wenn eine Krankheit kam.

Unbewußt lenkt Grmač die Schritte zum Stall, der in den Berg eingezwängt ist. Zwei Ziegen und etliche Hasen.

Diese dalassen wird auch nicht leicht! Das ist eine kleine Familie.

„Belka, Belka!“

Die Ziege hört sofort und zieht an ihrem Strick.

„Schau nur das Tierchen, wie es verständig ist, obwohl sie vom Breg ist“, wird Grmač warm. Die Hasen hoppeln einer über den andern.

„Vielleicht hab’ ich zuviel versprechen“, wurmt es ihm. „Ich gab ihm fast schon das Wort!“

Grmač ist gar nicht wohl zumute. Er sieht nicht einmal, daß der Stall auszubessern wäre und man sich der Holzlege erbarmen müßte. Alles ist ihm recht. Noch nie so wie jetzt.

Schließlich hat kein Bauernhaus unten im Tal so viel Sonne als seine Keusche.

Vom Morgen bis zum Abend badet sie in Sonnenstrahlen. Noch das letzte Abendrot erwischt sie, wenn die Sonne hinter dem Jamnik verschwindet.

„Daß ich mich nur so hab’ versprechen können! Wenn die Keusche wertlos wäre, würde Ceglar auch gar nicht danach trachten. Was würde Mutter sagen, wenn sie aus dem Grabe känje?“

„France, so sag’ ich’s dir: Ein Heim ist doch ein Heim und wär’s noch so klein." Und dabei würde sie mit ihrer abgerackerten Hand durch die grauen Haarsträhne fahren. Gr-mač wird es immer schwerer. Mit seinen Zimmermannsarbeiten verdient er ja auch ganz gut. An Arbeit fehlt es nie. Mit den Jahren setzt er sich sein Häuschen im Tale auf. In eine solche Keusche wird die kleine Neža nicht kommen wollen.

Jedoch hat er sie noch nie darüber gefragt. Das ist schon wahr.

Grmač kann nicht so richtig weiterdenken. Obwohl er gerne seine Gedanken günstig für sich ausspinnen möchte, verknotet sich ihm sofort wieder der Faden. Noch jetzt kann man am Buchsbaum deutlich erkennen, wo das Zweiglein fürs Weihwasser an Mutters Bahre abgebrochen wurde. Und der Sohn drängt schon vom Hause weg?

Heute muß entschieden werden! Gegen Abend kommt Ceglar um das letzte entscheidende Wort.

Grmač kehrt zu seiner Bank zurück. Hier saß Mutter jeden Abend und betete ihren Rosenkranz. Sonst konnte sie nichts mehr. Nach dem Abendessen saß auch France bei ihr. Das Tal unter ihnen lag im leichten Dunst, die Felder reihten sich von den Buchen des Ožbovc bis zu denen vom Ceglar. Dann kam langsam die Dämmerung und mit ihr die Lichter im Dorfe. Nach einer Weile die Sterne und die schmale Mondsichel, welche die letzten Wölkchen durchschnitt, die die Sterne verhängten.

Spät in der Nacht meldeten sich die Burschen im Dorfe. Grmač greift es direkt in die Seele.

„Ceglar würde bestimmt diese Bank nicht in Ruhe lassen. Auch würde er alles erneuern. Es würde nichts beim alten bleiben. Jetzt riecht es noch nach der Mutter, dann würde alles fremd werden.“

Die Fuchsie am Fensterchen zwinkert, wie eine Greisin mit träumenden Augen.

Eng umklammern seine Hände die Bank.

Es wird nicht leicht sein, Abschied zu nehmen. Am Abend geht France ins Haus. Niedrige Decke, aufgepflusterter Ofen hinter der Stubentüre, unter dem Fenster Mutters bemalte Truhe.

France öffnet sie. Ganz oben Mutters Gebetbuch mit vergilbtem elfenbeinernem Buchdeckel. Zwei Briefe und etliche alte Bildchen.

Unterhalb liegen die breiten, alten Seidenröcke, die gestickte Haube und der Gürtel.

Grmačs Finger gleiten über diese lieben Andenken.

Das alles kann er nirgends hintragen. Hier lassen würde er es auch nicht gerne. Langsam schließt er die Truhe.

Später kommt Ceglar.

Grmač erwartet ihn an der Türe. „No, France, werden wir einig?“ „Da sag’ ich dir, Ceglar. Ich bleibe am Breg. Nichts will ich verkaufen, nicht ein Steinchen vom Wege, nicht ein Schüppel Melisse, nicht einmal die Beeren vom Hollunderbusch. Schau nur die Fuchsie an! Bis zur Ecke würde sie mir nachschauen. Du würdest sie nicht begießen und sie würde verwelken. Ich kann nicht! Bis heute abends kannte ich mich nicht. Die Toten sind in dieser Keusche lebendig."

„So, so“, meint Ceglar überrascht.

Eine Weile saßen sie noch beisammen, dann kehrte Ceglar ins Tal zurück. Grmač saß bis zum Mondschein auf seiner Bank.

Als der Hang goldig schimmerte, öffnete France angelweit die Haustüre. Das Mondlicht stürzte in die geräucherte Küche.

Dann trat Grmač mit freudigem Schritt über die Schwelle.

Früher streichelte er noch mit der Hand die Fuchsie, die auf den Tau wartete.

Aber er schloß die Türe nicht zu.

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