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Die Verweclis lung

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Der Mann vor dem hellerleuchteten Portal sah aus wie ein Admiral. Seine goldverzierte Mütze flößte der alten Frau Respekt ein. Nur gefiel ihr nicht, daß er vor all den feinen Damen und Herren, denen er beim Verlassen der Autos im Wege stand, diese herrliche Mütze zog und sich gar so tief verbeugte Das nahm ihm viel von seiner Erscheinung, so meinte die alte Frau, was er zwar dadurch wettzumachen versuchte, daß er sie immer wieder aus der Nähe des Portals fortdrängte.

„Machen Sie, daß Sie da wegkommen. Sie haben da nichts verloren." So sagte er ganz streng.

Die alte Frau verstand sehr wohl. Sie wußte, daß sie den Herrschaften, die den gewiß recht strahlenden Sälen entgegenstrebten, keinen erhebenden Anblick bot. Irgendwie stellte sie sich da drinnen alles sehr schön vor. Aber sie fühlte kein Verlangen, es zu sehen. Es könnte am Ende doch anders sein und dann könnte sie sich nichts mehr vorstellen. Immer wieder trat sie ins Dunkel zurück, um sich zeitweise zögernd hervorzuwägen.

„Ich habe Ihnen schon gesagt, daß Sie hier Weggehen sollen. Betteln können Sie hier nicht.“

„Ich will nicht betteln", sagte die alte Frau erbost. Dabei hatte sie Tränen in den Augen.

„Was wollen Sie denn?“

Aber darauf bekam der Mann mit der Mütze keine Antwort.

In knapper Folge fuhren einige Autos vor. Der Mann mit der Mütze hatte alle Hände voll zu tun. Die Linke am Schlag, die Rechte an der Mütze. Augenblickslang vergaß ei auf die alte Frau mit dem Kopftuch und dem abgetragenen schwarzen Rock zu achten. Etwas neidvoll sah er den Paaren nach. Ihm selbst war ja die Herrlichkeit da drinnen auch verwehrt. Warum, so schoß es ihm durch den Kopf, bin ich so abweisend zu der alten Frau? Ich werde sie nicht mehr hindern, herzükommen. Betteln will sie ja wirklich nicht.

Lautlos schmiegte sich eine blitzschwarze Limousine an den Gehsteig heran. Der Mann mit der Mütze riß den Schlag auf. Seine Verbeugung war tief wie nie zuvor. Dicht hinter ihm stand die alte Frau und sah über seinen gebeugten Rücken dem aussteigenden Paar entgegen. Ein älterer, sehr vornehm aussehender Herr war einer jungen, sehr hübschen Dame beim Aussteigen behilflich. Wohl war die junge Dame sehr geschminkt, wohl tanzten Reflexe wertvollen Schmucks um Gesicht und Dekollete, aber es haftete dieser Dame doch etwas Fremdes an. Für Sekunden glaubte die alte Frau, in den Augen der jungen Dame etwas wie Angst zu erkennen. Es war wohl Angst vor all der Vornehmheit, oder wovor? Vielleicht auch Angst, an die eigene Herkunft erinnert zu werden? Aber das war hier ja dasselbe. Die alte Frau erkannte den Zwiespalt in dem jungen Geschöpf. Ja, dieses junge Geschöpf tat ihr unendlich leid. Sie zitterte darum.

Da trafen sich ihre Blicke. Die junge Dame errötete und wollte wegsehen. Aber sie konnte nicht. Die alte Frau hob wie flehend die Hände, eben so hoch, daß man sie hinter dem gebückten Mann noch sehen konnte. Und dabei rannen Tränen über ihre faltigen Wangen.

Der Begleiter der jungen Dame schien

von alldem nichts zu bemerken. Fürsorglich geleitete er das junge Geschöpf in das Lokal. Der Mahn mit der Mütze nahm wieder normale Haltung an und gewahrte, als er sich geschäftig umwendete, die alte Frau.

„Das ist wohl ein sehr großer Herr“, wagte sie zu sagen.

„Ja, das ist' er", gab der Mann mit der Mütze zurück, und er nannte einen sehr geläufigen Namen. Sogar die alte Frau kannte diesen Namen. Aber das bewirkte nur, daß sie noch mehr Tränen vergoß.

„Was haben Sie denn", wollte der Mann wissen, aber die alte Frau gab keine Antwort. Gleich darauf war sie im Dunkel verschwunden. Der Mann mit der Mütze atmete auf.

Das Personal zerfloß vor Dienstbereitschaft, als der große Herr und die

strahlend schöne Dame das Lokal betraten. Ein Geleitzug Schwarzbefrackter folgte ihnen zum reservierten Tisch, Reglos wurde die Bestellung erwartet. Dann wendete sich der Herr der Dame zu.

„Du warst vorhin so blaß. Ist dir etwas?"

Er weiß ganz genau, was mir fehlt, dachte die junge Dame, sonst hätte er rot und nicht blaß gesagt.

„Daß sich diese Armen auch immer vor das Portal stellen. Ganz selbstverständlich, daß sie unsere Luft nicht vertragen.“

Die junge Dame zuckte kaum merklich zusammen.

„Sie muß mich mit jemandem verwechselt haben.“

Von den Tränen sagte niemand etwas. Und dann kam die Suppe. Schildkrötensuppe.

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