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Du sollst Dir kein Bild machen von Deinem Autor

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In meinem ersten Buch, „Herder, Frauendienst”, steht an einer Stelle, daß Lesungen Schwachsinn sind und Ieute, die Lesungen besuchen, offenbar in der infantilen Märchenzuhörephase steckengeblieben sind. Außerdem: Du sollst dir kein Bild machen von mir, deinem Schriftsteller! Ja, wenn ich mich nicht täusche, habe ich sie sogar des sekundären Analphabetismus bezichtigt, der Unfähigkeit, diverse Buchstabenketten als semiotisch und semantisch relevant, als Worte und Sätze zu dechiffrieren. Und ein Dichter, der das, was er geschrieben hat, dann auch noch selbst vorliest, ist schon sehr aufdringlich. Tatsächlich habe ich diese Worte aber einem extrem misantropischen Alter ego, das sich am Ende seiner Tiraden vor lauter Selbstekel auch selbst auflöst, in den Mund gelegt. Mein erstes Buch war also noch ziemlich hydesk, ist als programmierter Worstseller dementsprechend in einem ganz kleinen Verlag in niedriger Auflage erschienen, und ich habe kaum öffentlich daraus vorgetragen.

In Wirklichkeit sind Schriftstellerlesungen, wenn man kein permanentes medizinisches Krisengebiet im Kopf und in den Atemwegen hat, wenn man nicht gerade mitten im Vortrag einen nichtendenwollenden Hustenanfall oder einen nichtendenwollenden Würgereiz bekommt oder sich die Zahnprothese infolge Überartikulation vom Kiefer löst und ins

Publikum purzelt, für den Schriftsteller eine feine Sache, denn sie versetzen ihn mitunter in die nicht unwichtige Lage, seine Miete und seine Medikamente bezahlen zu können. Man trainiert seine Geographie- oder wenigstens Topographiekenntnisse, wie es sonst nur dem Fußballfreund oder Regionalligafetischisten möglich ist. Man kommt also ein wenig herum, ein wenig unter Menschen und ein wenig zu den extraordinären Frühstücksbuffets.

Im Hotel Maria Theresia in Innsbruck habe ich allein vier verschiedene Eierspeisvariationen vorgefunden, und ich schreibe diesen Satz, ohne mit dem Hotel Maria Theresia vorher Rücksprache bezüglich Privatsponsoring im Gegenzug für diese kleine Werbeeinschaltung zu halten: Ich bin ausschließlich der Wahrheit verpflichtet. Wo ich auch hinkomme, werde ich mit ausgesuchter Gastfreundschaft empfangen und in den besten Häusern einquartiert. Die Dichterfürstensuiten enthalten Kri-stalluster, Luxusbadewanne, Minibar, Hotelbriefpapier, fallweise Ther-malhallenbadbenützung, Kabelfernsehen, Pay-TV. Zum Pay-TV ist zu sagen, daß 1) vier Minuten und 59 Sekunden gratis sind, 2) wahlweise a) ein Kultfilm, b) ein Actionfilm, c) ein Krotikfilm angeboten werden, daß aber 3) der Erotikfilm überhaupt nicht erotisch, sondern durch und durch pornographisch ist, das heißt, daß bei der Äbschauung der vor sich dahinrobottenden Genitalien kein Platz zum Phantasieren mehr bleibt; allenfalls könnte man sich vorstellen, was die zu den Genitalien gehörigen nackten Damen und Herren beruflich, privat, lebenstechnisch tun und wohin der geistige Prozeß dieser beiden ichs führt, wenn sie gerade einmal nicht nackt und miteinander verkoppelt sind. Immer hat man bei der Anschauung unwillkürlich den Eindruck, als Traumberuf würden diese Modelle sofort „Bundesbeamter” angeben. Ich schalte also pünktlich nach vier Minuten 59 Sekunden ab, lege mich in die Luxusbadewanne, blättere das Programmheft der aktuellen literarischen Veranstaltungsreihe durch und sehe, daß vor mir ein Kollege aufgetreten ist, der einen Roman mit dem Titel „In einer lauen Nacht bohrte ich in meiner engen Nase” geschrieben hat, eine wahrhaft pompöse Filigranität, in der es neben dem obligatorischen geistigen Prozeß eines ich darum geht, daß es kein Unkraut, sondern nur Kraut gibt. Desgleichen gibt es auch keine Unmenschen, sondern nur Menschen: Menschen mit Hirn und Menschen mit Unhirn, denn ein Unhirn gibt es, und es ist daran schuld, daß Kräuter und Unkräuter gehalten werden. Tolles Thema. Soeben hat seine Heimatgemeinde völlig uneigennützig ein Museum für den Kollegen errichtet, und ein arbeitsloser Germanist wird dadurch einen Arbeitsplatz finden. Herzlichen Glückwunsch.

Zwei Tage nach mir kommt ein Kollege an die Reihe, der sein Werk in den Dienst der Aufarbeitung der Vergangenheitsaufarbeitung gestellt hat. In präzisen Fallstudien arbeitet er eindrucksvoll heraus, wie die Nazis hierzulande wohl den Krieg, aber nicht die Herrschaft verloren haben; wie sie sich dank ihres eigenen de-goutanten Entnazifizierungsgeplappers im unter den Landesteppich gekehrten Nazigewimmel die ganze Wiederaufbauära hinauf und noch in die heutige Wiederabbauära hinein ungeniert an der Macht gehalten haben und sich gerade sozialistische und sozialdemokratische Regierungsparteien einerseits geradezu liebvoll um die Pensionsnazis kümmern und im Gegenzug die Naziopfer und die Naziopfernachkommen auf die skandalöseste Weise vor den Kopfstoßen, um nur ja bis in alle Ewigkeit an der Macht zu bleiben. Schlimme Geschichte also, klassische Wehtudich-ter, gut, daß es sie gibt, denke ich, muß ich nicht mehr machen, was sie machen. Da das Charisma des Zorns, denke ich in der Dichterfürstensuitenbadewanne, dort das Charisma der Trauer, und ich frage mich in der Badewanne, wie es die Kollegen nach der Wehtuarbeit mit dem Pay-TV halten.

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