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Ehedrama in blassem Silber und Blech

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Das Wiener Publikum erwartet jede Wessely-Premiere mit einer eigentümlichen Spannung: die große Schauspielerin ist selten genug in diesen letzten Jahren auf Wiens Bühnen zu sehen. Selten genug ist auf diesen Bühnen zu sehen die Bildung jener eigentümlichen Atmosphäre, die intime und lautere Strahlkraft, die Paula Wessely gegeben ist, die es ihr ermöglicht, raumbildend zu wirken. Starke und echte Schauspieler faszinieren ja gerade in Krisen- und Zwischenzeiten die in Isolierung, Ichhaftigkeit und Einsamkeit zerfallenden Massen, indem sie Räume des Menschlichen bilden. — Leider ist es schwer, für die Wessely passende Rollen zu finden, und leider ist die Wahl der Stücke, in denen sie in den letzten Jahren zu sehen war, als unglücklich zu erkennen. Das gilt gerade wieder für die letzte Premiere des A k a-demietheaters, für BernardShaws „Candida“. Das Theater von heute hat ein legitimes Recht auf Ehedramen. Die Dutzendkomödie um Dreiecksverhältnisse, die saloppen, snobistischen, schlüpfrigen und moralisierenden Ehestücke vergangener Jahrzehnte können das echte Bedürfnis nicht befriedigen, das darin besteht, den Menschen zu zeigen auf jenem Schlachtfeld, auf dem die entscheidenden Niederlagen und Siege des Menschen ausgetragen werden, im Ringen in der Brust des Mannes und der Frau; in jenen inneren Kämpfen, die, wenn scheiternd, sehr schnell sich ausformen in äußere Kriege, Bürgerkriege und Zwiste aller Art. Wieviel wußten noch Hebbel, Ibsen und Strindberg von der dramatischen Verknüpfung heilvoller und unheilvoller Bezüge im Drama der Ehe, wenngleich sie nicht selten monoman verkürzend die großen Perspektiven verengten im Sehschlitz ihrer Angstoptik. Dieses Eheschauspiel von Shaw tastet, vom Rande her, bisweilen heran an einige großen Fragen, an die Illusionen des „starken Mannes“, des Ideologen, Theologen, Künstlers und Literaten, spricht von der Angst und Enge des wirklichkeitsfremden Mannes, der plötzlich im Schock eines Erlebnisses zu ahnen beginnt, daß seine eigene Frau ein ihm unbekannter Kontinent, voll von Reichtümern und Gefährdungen ist. Shaw verengt aber selbst sein Sujet allzusehr, um diese seine Möglichkeiten ausschöpfen zu können: der Streit des ehrsamen Londoner Pastors mit dem hereingeschneiten jungen Dichter um die Liebe seiner Gattin Candida wirft Wellen nur ab für eine Zwischenaktmusik: zu Akten eines Dramas kommt es nicht, weil dieser Streit eine Fiktion ist: Candida ist viel zu klug, zu reif, zu wissend, um sich, ihr Haus, ihre Familie wirklich zu gefährden durch eine Liaison mit einem einundzwanzigjährigen Dichterjüngling. — So überkommt das Publikum ein sanftes Gähnen: es weiß vom ersten Moment an, hier kann nicht viel passieren. Das kultivierte, wundersam feinnervige Zusammenspiel Paula Wessely-Attila Hörbiger versöhnt mit vielem; nicht versöhnen kann es mit der Tatsache, daß durch Regie (Glücksmann) oder andere Motive die Nebenrollen zu grausamen Harlekinaijn herabgewürdigt wurden: Julia Janssen wird verwendet, eine närrische Sekretärin zu kreieren, Helmut Janatsch wird verwendet, den Hilfspastor zu einer Wilhelm-Busch-Figur zu deklarieren, peinlich unangenehm ist die Fehlbesetzung des Dichters mit Heinrich Schweiger. Dieser junge Schauspieler, der soeben einigen Pressewirbel erregt hat und nun wohl für längere Zeit das Burgtheater verläßt, zeigt hier ein solches Maß von Nichtverstehen seiner Rolle, von flächiger Exzentrik, daß der wohlwollende Beobachter nur betreten schweigen kann. Wir wollen uns nicht einfach der Meinung jener anschließen, die da sagen: dieser junge, rasch zu Publikumserfolgen gekommene Schauspieler ist ein „blendender“ Könner, hinter dessen Maskenspielen nicht viel steckt: ob etwas dahintersteckt, kann erst die Zukunft lehren; dieser Abgang von der Burg ist auf jeden Fall ein schmerzliches Debakel. — Das Publikum applaudierte dem Ehepaar Wessely-Hörbiger und quittierte das Ehestück Candida mit freundlichem oder verärgertem Achselzucken.

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