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Ein Mythos vom Meer

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PILGER AUF DEM MEER. Roman von Fär Lagerkvist. Im Verlar der Arche, Zürich, 21 Selten. Treis 12.80 Fr.

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PILGER AUF DEM MEER. Roman von Fär Lagerkvist. Im Verlar der Arche, Zürich, 21 Selten. Treis 12.80 Fr.

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„Sich dem Meer zu überlassen. Dem großen unendlichen Meer. Dem alles gleichgültig ist und das alles auslöscht. Das in seiner Gleichgültigkeit alles verzeiht. — Uralt, verantwortungslos, unmenschlich. Das den Menschen durch seine Unmenschlichkeit frei macht. Verantwortungslos und frei. Wenn er das Meer wählen, sich ihm anheim-' geben will...

Nioht nur die knappe Sprache solcher Sätze weist auf Hemingway hin. Wie dieser erweckte Lagerkvist den Meermythos der Härte und Männlichkeit. Und wie dieser öffnet er das kraftmeierisch Absolute zu einer Transzendenz ohne bestimmte Lösung. Die Situation des modernen Menschen spiegelt sich in solchen Bildern. Der Dichter hat das Ja des Lebens.

Der Roman besteht eigentlich aus zwei ineinandergeschachtelten Novellen. Ein von dunkler Schuld be-ladener Mensch wählt zur büßenden Pilgerschaft nach dem Heiligen Land ein Seeräuberschiff. Abfahrt und Ankunft liegen außerhalb der Schilderung. In Gesprächen und Beobachtungen lernt der Pilger Tobias die verwegene Besatzung kennen und wird Zeuge einer kaltblütigen Plünderung. Der einzige ihm wohlgesinnte Seemann — Giovanni — rettet ihm das Leben und erzählt ihm seine Geschichte. Dieser Giovanni ist ein abgefallener katholischer Priester. Die Beichte einer leidenschaftlichen Frau war ihm zum Verhängnis geworden.

Die moderne Literatur hat in der Zeichnung abgründiger, sündiger Priesterseelen bereits Beachtliches geleistet. Die Motive, welche Lagerkvist anführt, sind leider nicht frei von Konstruktion und Schablone. Die kalte Unbarmherzig-keit der Mitbrüder, ja selbst der eigenen Mutter, ist zu schwarz, um noch lebensecht zu sein. Das Böse tritt mit einem Anspruch auf, den es im Bereich des Erlösungsgeheimnisses nicht gibt. Das Beichtgeheimnis wird leicht wie ein bloßes Gespräch genommen.

Das Medaillon der Geliebten, ein gehütetes Kleinod, ist leer. Ein gnadenloser Spiegel im nordischen Zwielicht aus Gottsuche und Sinnlichkeit. „Er lag und dachte an das Höchste, das Heiligste im Leben, wie es sich vielleicht damit verhielt. Daß es dies vielleicht nur gibt als einen Traum, daß es vielleicht die Wirklichkeit nicht erträgt, das Erwachen. Aber daß es das doch gibt. Daß es die vollkommene Liebe gibt, und daß es das Heilige Land gibt, wir können es nur nidht erreichen. Daß wir uns vielleicht nur auf der Reise dorthin befinden. Nur Pilger auf dem Meere sind.

Vielleicht, vielleicht! Auch der Gläubige hat nioht mehr als das Vielleicht. Aber er hat das Vertrauen, das in diesem bitteren Buch nicht existiert.

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