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Eine Anklagerede

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Hohes Gericht! Meine Herren Geschwo- renen!

Sie sehen vor sich auf der Anklagebank die Mode. Gegen die Anklage, die ich als Staatsanwalt vorzubringen habe, wird sie ihr Lächeln ins Treffen führen, mit dem sie schon so oft gesiegt hat. Aber ich werde ihr die lächelnde Maske vom Gesicht reißen!

Wenn die Mode auf ihre nahe Verwandtschaft mit Schönheit, Grazie und Liebe pocht, so geschieht dies, um sich den Anschein zu geben, sie wäre eine Naturgewalt, über die zu urteilen dieses hohe Gericht nicht zuständig ist. Meine Herren Geschworenen, das sind Mätzchen, die uns nicht täuschen dürfen!

Die Verteidigung wird vorbringen, die Mode übe seit langem einen ehrlichen bürgerlichen Beruf aus. Sie rege zu jenem immer neuen Wandel an, der für viele Erwerbszweige nützlich, ja notwendig wäre. Das steht außer Streit, hohes Gericht. Diktiert die Angeklagte: kurz oder lang, weit oder eng, hell oder dunkel, so geht sie damit einem Erwerb nach, für den sie ihren Gewerbeschein besitzt, der ihr auf ordnungsgemäße Weise ausgestellt " worden ist. Nicht deswegen sitzt sie heute vor uns auf der Anklagebank. Das Gericht hat sich nicht damit zu befassen, ob sie etwas ändert — wohlgemerkt — etwas ändert. Vielmehr muß die Tatsache festgenagelt werden, daß die Mode etwas hat verschwinden lassen.

Dadurch hat sie sich gegen das Strafgesetz vergangen.

Sie hat den Männern den Stock gestohlen.

Ich finde das Kichern einiger Zuhörer höchst unangebracht. Aber ich habe es nicht nötig, den Herrn Vorsitzenden zu bitten, dagegen einzuschreiten. Denn diejenigen, die den Ernst dieser Verhandlung noch nicht begreifen wollen, werden bald ihre Meinung ändern.

Um die Größe des Verbrechens zu ermessen, das hier seine Sühne finden soll, müssen wir uns darüber klarwerden, was der Stock den Männern bedeutet hat.

Seitdem der Mensch geht, hat ihm der Stock als Stütze gedient, als dritter Fuß sozusagen. Er war die Hilfe des Wanderers, des Jägers, des Hirten. Mit dem Stab schlug Moses das Wasser aus dem Felsen. Der Stab war das Attribut des Mannes schlechthin. Er war das Herrschaftssymbol der Pharaonen, er ist das Zeichen der hohen Würde des Bischofs und des Marschalls. Die Gesamtheit der Männer soldatischer Befehlsstellen erhielt die Bezeichnung „Stab“.

Können Sie sich, hohes Gericht, einen Herrn der Rokokozeit ohne Stock denken? Erinnern Sie sich an die wanderfrohe Jugend der romantischen Jahrzehnte, an eine Jugend, für die der Stock, der Wanderstab das Sinnbild ihrer Verbundenheit mit der blauen Ferne gewesen ist! Unsere Väter gingen nie ohne Stock auf die Straße. Es gab Stöcke mit Griffen, Krücken oder Knöpfen aus gehämmertem, ziseliertem, tauschiertem Silber, aus geschnitztem Elfenbein oder Horn, es gab Stöcke aus wertvollen Hölzern, mit schönen Intarsien. Die Matrosen trugen an Bord keinen Stock. Aber wenn sie an Land gingen, liebten sie es, ein kleines Rohrstäbchen zwischen den Fingern zu drehen. Die Mode, ja, ich meine Sie, Angeklagte, die Mode befaßte sich zärtlich mit den Stöcken. Manchmal trug man schwere Stöcke mit Knäufen, dann dünne Stöcke mit Silberkrücken, dann wieder helle Stöcke aus Bambusrohr.

Wollen Sie leugnen, Angeklagte, daß der Stock ein sprechendes Wesen ist? Seine Gestalt und seine Bewegungen erzählten von der jungen Selbstherrlichkeit des Studenten, von den Frühlingsgefühlen des Jünglings, vom Draufgängertum des Selbstbewußten, von der Würde des Anerkannten.

Das alles haben Sie den Männern gestohlen, Angeklagte.

Ich kenne Ihre Verteidigung aus ihren Aussagen vor dem Untersuchungsrichter. Ich muß dazu sagen: Schämen Sie sich! Sie möchten Ihrem Verbrechen ein fadenscheiniges Mäntelchen der Barmherzigkeit umhängen. Den Alten, Hinfälligen und Kranken überlassen Sie gnädig den Stock.

Hohes Gericht, eben damit beweist die Angeklagte ihre niedrige Gesinnung. Sie will den betagten und leidenden Männern ein Kainszeichen aufdrücken. Nur wer alt und schwach ist, darf nach ihrem Wunsch noch den Stock tragen. Welche Spitzfindigkeiten und Winkelzüge! Behauptet die Angeklagte nicht, ihr höchstes Verdienst sei es, daß sie die Zeitläufte versteht und den Forderungen des Augenblickes zum Durchbruch verhilft?

Wie sieht das nun aber aus, wenn sie den Stock den Greisen vorbehalten will? Das vieltausendjährige Attribut der Männlichkeit ist fort. Nur die Bejahrten und die Fußkranken tragen den Stock — er wirkt wie im Mittel- alter die Schelle, durch die sich die Aussätzigen auf hundert Schritt haben ankündigen müssen! Welches Maß an Grausamkeit in der Brust der lieblich lächelnden Angeklagten!

Sie, die ihre Stärke darin erblickt, den Geschmack und die Wünsche der Gegenwart besser zu kennen als jeder andere, sie, gerade sie möchte die Männer, die in gewisse Jahre kommen, mit dem Stigma des Greisentums brandmarken! Will sie unserer Zeit ins Gesicht schlagen? Will sie uns glauben machen, sie wüßte nicht, daß es keine Greise mehr gibt und daß das Altsein — unmodern ist?!

Ebenso wie ich vorhin das hämische Kichern einiger Zuhörer als unangebracht bezeichnet habe, lehne ich jetzt den Beifall ab, mit dem das Publikum im Saale meine Argumente bejaht. Ich kann zwar nicht leugnen, daß mich dieses Zeichen der Einsicht und des Verständnisses befriedigt. Aber meine Anklage steht auf so festen Füßen, daß ich keine Zustimmung der Menge brauche.

Als Staatsanwalt habe ich nun noch die Aufgabe, auch die Umstände des Verbrechens der Angeklagten zu beleuchten. Wann hat die Mode den Männern den Stock gestohlen? Genau in den Jahren, als es üblich geworden ist, Parteiuniformen zu tragen. Der Zeitpunkt der Tat läßt sich also präzise feststellen.

Ich will hier nicht Politik betreiben, hohes Gericht. Die Anklagebehörde kann darauf verzichten, ihre Beweismittel aus der politischen Mottenkiste zu holen! Ich konstatiere nur, daß die Mode eines Tages die Parteiuniformen, gleichviel welcher Farbe und Machart, vor der zivilen Kleidung bevorzugt hat und daß sie eben damals den Stock gestohlen hat.

Meine Position wäre schwächer, wenn die Angeklagte tätige Reue bekunden würde und den Stock zurückgegeben hätte. Aber davon ist ja keine Rede! Sie sitzt ohne eine Zeichen von Zerknirschung heiteren Angesichtes vor uns und denkt nicht daran, ihr Verbrechen wiedergutzumachen.

Aber ich glaube an die bessernde Wirkung der Strafe. Ich hoffe, daß die — wenn ich so sagen darf — verstockte Sünderin uns Männern doch eines Tages den Stock reuig zurückgeben wird. Gerade deshalb erwarte ich mit voller Zuversicht, daß Sie, meine Herren Geschworenen, die Angeklagte schuldig sprechen werden.

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