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EINE LEISE STIMME AUS DEM RADIO

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Uber der Kurstadt liegt sommerliche Mittagssonne. Aus- gestorben sind StraBen und Platze, in artistischer Zwecklosigkeit klingelt die leere StraBenbahn durch die Allee, an der Ecke warten lange Kolonnen verschlafener Taxis. Die schlechtver- hullte Ruinenhaftigkeit dieser gewaltigen Anlagen wirkt unter dem unbekiimmert erbarmungslpsen Sonnenglast doppelt be- driickend, und mit jahem Schreckeri denkt man an legendarische Berichte von verodeten Stadten der spatromischen Zeit, die, von ihren Bewohnern vetlassen, einem stillen und schleichenden Zer- fall geweiht gewesen seien.

In einem Hotel der HapptstraBe nehmen wir das Mittagessen ein. Eine grofie. langgestreckte Halle gewahrt Raum fur Hun- derte von behaglichen Zechern. Unmenschliche, barbarisch auf- geschwollene Zierate bedeckten Wande und Decke, vergoldete Gipswiilste suchen die sichtbaren Auswirkungen der statischen Gesetze, nach denen schlieBlich auch dieser Raum sein Dasein fristen muB, zu kaschieren, ajs waren sie etwas AnstoBiges, schwere, staubige Pliischmasspn verleihen ihm eine luftlose Dusterkeit, die im Kontrast zum auBeren Licht etwas besonders Gruftartiges hat. Ein wenig beklommen entschliefien wir uns zur Mahlzeit, hoffend, die stumme Solidaritat vieler Esser werde die Starre dieses Grabes voll aberwitziger, imitierter Pracht etwas auflockern Aber obgleich die Speisestunde allmahlich vorbei- geht, bleiben die Tischgenossen aus In der triiben Dammerung sieht man an entfernten Tischen ein bis zwei .verdrossene Gaste, an anderer Stelle verzehrt der Inhaber des Unternehmens mit seiner Familie still und gedriickt ’'sein Mahl. Da fangt zum UberdruB noch ein Lautsprecher sein verdaebtiges Getose an und wird die Melancholic dieser Stunde mit odiosen Neben- gerauschen zerhacken! Wahrend der Ansager etwas Uriverstand- liches gurgelt, steigt unser-.MiSbehagen.

Da ist schon Musik, erst verworren und wiist, nach. wenigen Sekunden aber heller, spharenhaft uhd uberdeutlich: man spielt Beethovens cis-moll-Quartett, eines der unbegreiflichsten Werke des menschlichen Geistes, aus der unzulanglichsten Einsamkeif jenes Genius. Welch eine Roheit, eine so schauervolle- Musik in einer Hotelhalle als BegleitmusiE,' zum upwilligen Kauen gleich- giiltiger Nahrungsverbraucher ertonen zu lassen! Schon will ich bitten, daB man den Apparat abstellt, da besinne ichmich unter der Wirkung dieser Musik andertL GewiB ware .e-s furchtbar gewesen, hatte den EBsaal lautes Geklapper von Geschirr und das Geschwatze vieler Gaste erfiillt Aber so: plotzlich ist es, als sei eine Engelsgestalt an diesem. verworfenen Elendsort erschienen. Ich hatte nie gewufit, daB Musik ein'so jah'es, unmittelbares Gluck sein konne, Nie hatte-dieses unbeschrei-bliche.Werk, dieses atemberaubend heitere Presto in E-Dur, nie dieser zum Weinen sufie, glaserne Neunviertelfakt in A-Dut in einem. Konzertsaal so erschiitternd gewirkt wie-in dieser tristen Stunde, in diesem jammervollen, uberladenen Grabmal einer zusammenbrechenden Welt, wo diese Musik so fehl am Ort schien. Und seltsam: schrecklich, peinlich und schamlos ware die korperliche An- wesenheit beriihmter Spieler hier gewesen. So aber war die Musik korperlos, anonym, wahrhaftige Engelsstimmen aus dem Ather, Gnadenbotschaft, ungebrochen trotz des hilflosen, annen Ve- hikels, dessen sie sich bediente.

Wie gleichgultig wurde auf einmal der leibhaftige Untergang, .in dem wir eben noch bedriickten Herzens safien! Mochten doch vor unseren Augen diese gipsernen Ornamente in das Nichts ■zerbro.ckeln, fiber das sie uns erfolglos tauschen wollten, mochten doch diese SamtpOrtieren sogleich in erstickenden Staub zerfal- len, mochten diese Tischtucher in Eile zum Raub gieriger Motten werden, mochte all diese muhselige Aufrichtung geschwind in Triimmer sinken, wenn nur das schmerzhaft strahlende Wunder dieser Musik im leeren Raume schweben blieb! Welch eine Wirklichkeit war dieser hauchdunne Klang gegeniiber dem massiven Nichts, das uns umgab! Und ein starker, unmittelbarer Trost ging von dieser so riihrend und eindringlich durch die Raume der Vernichtung unbekiimmert hinschwebenden Musik aus; auf einmal wufiten wir, daB dies alles seinen Sinn hat und behalt, und moge es rundumher noch finsterer werden, wenn wir ihn nur wissen und bewahren. Datum lobte ich an diesem Tage das Radio, weil es zum Symbol der alles durchdringenden, anonymen, Strahlung des Geistes wurde, deren er sich selbst in seiner fernen Zelle kaum bewufit ist.

Aws dew Esiayband „ Gedanite# untenyegs" von Ernst Krenek, Langen-Miiller V erlag, Miinchcn.

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