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Erfahrene des tiefen Verzichts

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Lyriker verschiedener Art und gleichen Stils: Atabay, Brambach, Bach und Mandelstamm

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Lyriker verschiedener Art und gleichen Stils: Atabay, Brambach, Bach und Mandelstamm

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Cyrus Atalay ist ein junger Perser, der seit seiner Kindheit in Deutschland lebt, von kleinen Unterbrechungen abgesehen. Seinem ersten Gedichtband „Einige Schatten“, der 1956 erschien, folgt nun sein zweiter mit dem Titel: .„An- und Abflüge“. Einen „Grenzwanderer zwischen zwei Welten“ nennt er sich selbst, gemeint sind die Welten des Ostens und des Westens, aber auch die des Unerkennbaren und des Beständigen, die des Augenblicklichen und Unbewegten. Seine Augen, singt er, haben „den Freipaß, der alle Schranken öffnet“, aber sie haben auch teil an der dreifachen Melancholie, der „des Wassers, des Sandes, der Himmelsferne“. Er bekennt sich zu den Lilien, „die unversehrt am Saum der Geschichte blühen“ und beklagt sich selber, weil keine Argo ihn aus dem Bereich des geschichtlichen Geschehens tragen kann, als einen „Erfahrenen des tiefen Verzichts“.

Wie Cyrus Atabay, erhielt auch der Basler Rainer Brambach den Preis der Hugo-Jacobi-Stiftung. Er ist 44 Jahre alt, während der Perser um 12 Jahre jünger ist. Aber die Jahre machen nichts aus, das Erleben ist das gleiche. Nur ist Brambach als Schweizer lakonischer und dinghafter. Er liebt den Befehlston, aber es sind

Imperative an sich selbst gerichtet. Es sind Verse aus dem Alltag, selten gereimt, sie erinnern an Melodien, die einer, der aus dem Tagwerk kommt, vor sich hinpfeift. Ein Einsamer in diesen Versen zu sich selbst, spricht von Regen, Straßen, Holzfällerschenken, Dornenhecken und Verlassenheit. Das spricht er, aber „der andere, der Vogelfreie in Ketten — der in dir aufsteht —, der dich immer begleitet, der dich ruft — er schweigt“. Viel Schauen, viel Empfinden, viel Erkennen ist in Brambachs Versen. Aber sind sie schon Dichtung? Sind sie nicht noch unterwegs zu ihr?

„Klage und Lob“ erreicht uns als ein Nachlaßband. Rudolf Bach bereitete das Buch vor, aber vor seinem Erscheinen starb er, 1957, im Alter von 56 Jahren. Rudolf Bach war ein durch und durch musischer Mensch. Das kommt auch in seinen Gedichten bezwingend zum Ausdruck. Sein Standort war „zwischen Fühlen ins Draußen — und Lauschen nach Innen, — Bewahrung und Hingabe, — zwischen Trauer und Freude, — Klage und Lob — getreulich und liebevoll schwebend“. Bachs Lyrik, formvollendet und doch atmend, rührt in ihren besten Stücken an das Geheimnis in uns und in der Welt.

Von dem 1891 geborenen russischen

Lyriker Ossip Mandelstamm liegen in Rußland drei Gedichtbände vor bzw. lagen vor, denn er gehört zu den Totgeschwiegenen gleich Babel. Eine der stalinistischen „Säuberungen“ brachten ihn in den dreißiger Jahren nach Sibirien. Dort verliert sich seine Spur. Es ist Paul Celan zu danken, daß er Ossip Mandelstamm uns, wenigstens in einer Auswahl, bekannt macht, zudem in ausgezeichneten Übersetzungen. Sein Schicksal bestätigte die Wahrheit seiner Verse: „Ich lernte Abschied — eine Wissenschaft“ und „Meine Zeit, mein Raubtier, deinem Aug, hält ihm ein Auge stand?“ Er hob des Jahrhunderts Lider empor und hörte „die Ströme tosen der lügenhaften Zeiten, pausenlos“. Als „niemands Zeitgenosse“ lebte, dichtete, starb er — ein Märtyrer Rußlands, eine verlassene, arme Seele, einer aus der großen Schar der verlorenen, verfemten Dichter.

CyrusAtabay: „An- und Abflüge“, Gedichte, 67 Seiten, S 56.15 (Carl Hanser Verlag, München).

Rainer Brambach: „Tagwerk“, Gedichte, 64 Seiten, S 41.75 (Verlag Fritz und Wasmuth, Zürich).

Rudolf Bach: „Klage und Lob“, Gedichte, 96 Seiten, S 70.55 (Carl Hanser Verlag, München).

Ossip Mandelstamm: „Gedichte“, Deutsch von Paul Celan, 68 Seiten, S 49.— (S. Fischer Verlag, Frankfurt).

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