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Ernste Botschaft, kabarettistische Form
Heiko Michael Hartmanns Erstlingsroman ist todernstes Kabarett. Das MOI-Virus - Mala-die d'Origine Inconnue - verbreitet sich mit den neuen Euroscheinen und fordert bald die ersten Opfer. Die Befallenen dunsen auf, verlieren alle Gliedmaßen, entarten zu denkenden Ballonen, verpuffen am Ende rückstandsfrei. Zu lachen gibt es dabei nichts.
Oder eben doch, denn das Schauerliche wird nur in der Groteske erträglich. Protokolliert vom Erzähler-Ich, ist der Fortgang des Verfalls in straff gereihten Sketchen arrangiert: Rousseau und Goethe zu Besuch, Fernseh-terror im Mehrbettzimmer, Damenbesuch bei den Verstümmelten, Reporter bei den Sterbenden, der Pastor in seiner Überforderung. Dazu alle Plagen der modernen Klinik, horrende Technik, penetrantes Personal, geldgierige Arzte im „System der Ünglücksprofiteure”. Die Station als Danteskes Purgatorio, abwechselnd mit dem Paradies, wenn das Ich in seinen Delirien die Welt träumt, wie sie sein sollte. Dies alles Karikatur, nie Klamauk. Selbst die unangenehmsten Figuren werden nur entlarvt, nie diffamiert. Das schafft beim Zuschauer das sichere Behagen, daß ihn sein Lachen späterhin nicht reuen muß.
Dazu kommen amüsamte Sprachneuheiten. In den Bett-zu-Bett-Ge-sprächen wird das Unterfränkische phonetisch ausgeschrieben. Den bai-risch sprechenden Leser wird der Dialekt des Nachbarstamms erheitern. Als zweite Hartmannsche Erfindung verfällt das delirierende Ich gelegentlich in ein Stolperdenken, bei dem sich ganze Satzteile ineinanderschieben. Über die rüde Nachtschwester etwa: „Sie faßte meine Schultern und wirbelte mir wurde fast flog ich dachte noch, daß sie warf mich aber so geschickt, daß ich strandete an der Waschhilfe weißem Kittel.” Kleine Puzzles als Speadbreaker beim Lesen.
Das Rest-Ich steht diesen Trubel mit einem Schutzpessimismus durch, gemischt aus Ironie, Spott, Trotz und hiobischem Hadern: „Ich? Warum ausgerechnet Ich?” Seine Philosophie umkreist zwei Fragen: Was ist die Wirklichkeit beim Kranken, und was bin ich überhaupt? Die Wirklichkeit wird ihm zunehmend vertrackt, perfid, verachtenswert. Er steigert sich in ihre rasende Beschimpfung, weil sie „kopflos ... jedes wahre Glück mit ihren groben Sachverhaltsfingern erwürgen muß!” F,r negiert sie als „ungültige Erfindung”, als Phantom.
Gegenläufig zu diesem Wegschicken der äußeren Wirklichkeit ringt er um eine innere. Das Ich läßt sich in Lebensgefahr nicht abtun als Phantom. Es schreit seinem fiktiven Gegen-Ich zu: „Ich, Ich! Verstehen Sie, was das heißt, Ich? Es ist meine Höhle, mein Schutz ... mein Alles.”
Sein Nihilismus ätzt nur die täuschenden Fassaden ab. Das Ich, unter dem kabarettistischen Kostüm, entfaltet sich liebenswürdig und geduldig, und wenn es im Traum spricht, sogar fromm: „Das Gebet (ist) die für jeden Einzelgänger geeignetste Kommunikationsform. Gebet heißt Dialog, und Dialog heißt Hervorbringung des Ichs. Sprecher und Hörer in einem - wo gäbe es eine reinere Entfaltung des Ichs?”
In seiner Agonie wirbt dieses Ich um meine Sympathie als Sterbehilfe. Ich lasse mich leicht gewinnen, denn das Virus der Reduktion ist auch meine Krankheit: mein Altern, meine Vergänglichkeit. Das Ich stirbt meinen Tod. Ich lese den Titel französisch: MOI, ich, wir alle.
Die menschliche Tragödie als gutes Kabarett: das Publikum versteht. Heiko Michael Hartmann wurde für dieses Buch beim Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 1996 ausgezeichnet.
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