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Ernte in der Nacht

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In Jener Nacht fuhr Vitus, der Knecht, jäh von seinem Lager empor. Als er sich umwandte, fiel der Schein des zunehmenden Abendmondes mitten auf sein Gesicht. Er hielt den Atem an, als horchte er. Durch sein langsames Knechtdenken wuchs eine seltsam verwunderte Frage herauf: Was hat mich so grob aus dem-Schlaf gerissen? Hab ich geträumt? Hat jemand gerufen? Alles blieb still um ihn. So fühlte er sich nicht gut zu dieser Stunde Vielleicht war es ein ferner, verlorener Donner gewesen. Doch heraus kam nichts bei seinem Nachsinnen; er glitt bald hinüber in halbes Träumen.

Der junge Mond lag mild im Fenster. Ein Donner? Woher denn, Vitus? Dreh dich zur Wand und schlaf wieder! Das nickte der Mond und sah dem Knecht mitten ins Gesicht.

Das Mondgesicht war bleich, über dem Himmel lag ein weißer Dunst Und da fühlte Vitus auch, daß er überronnen war von Schweiß. Es bedrückte ihn etwas; er mußte dem Mond aus den Augen rücken.

Jäh in die Stille warf die Uhr in der Stube drüben elf laute Schläge. Vitus erhob sich seufzend. Er saß noch eine Weile auf dem Bettrand, dann stieg er dumpf benommen in die Hose. Was er nun anfing, wußte er nicht, doch in der Knechtekammer wollte ihn die schwüle Luft in den Boden pressen. Der Roßknecht im vorderen Bett schlief tief und schnarchend und erwachte auch nicht, als Vitus durch die halblaut knarrende Scheunentür hinaustrat in den helleren Hof.

Bedrückt und unklar mit sich selber trieb es ihn vom Hause hinweg, den sanften Ackerhang entlang. Was soll ich denn da? murrte er fragend Dodi seine Gedanken wurden dabei nicht heller.

Doch da er heute nicht ausschritt zu einer Arbeit, die vorbedacht und befohlen war, wie es sich in den langen Jahren seines Knechtseins immer verhalten hatte, fiel sein Auge auf manches, das er sonst nicht gesehen. Der Gartenzaun sank halb verfallen hinein auf die Beete, die Äste des Apfelbaums hingen ungestützt herab und brachen fast unter der Last, aus der Brunnenleitung längs des Angerwegs sickerte Wasser. Vitus schüttelte nur den Kopf und tappte fattl durch den Morast. Was gehts mich an, ich bin nur Knecht!

Langsam aber fühlte er eine unbekannte Bitterkeit heraufsteigen. Hab einmal in meinen. Leben ich angeschafft? Da stand er wieder am Ende mit seinem Sinnen. Er ließ sich niedergleiten in das taulose Gras und starrte in die milchige Düsternis.

Hinter dem Mond aber lauerte heute dunkle Gewalt. Sein gelbes Licht zerfloß in trübes Weiß, zuletzt fiel über ihn eine fahle Blässe. Der Knecht hob langsam die Augen und starrte. Der Naditmond führte vor ihm ein seltsames Lichtspiel auf. Der Mond sollte das sein? Nein, da war es ein Ring, da flimmerten drei, fünf Lichter! Der letzte Stern verlor sein Leuchten. Die Welt fiel hinein in tote Verlassenheit. Der Himmel gloste fahl vor Schwüle.

Im nächsten Augenblick riß es den Starrenden herum. Ein Blitz stach durch die Düsternis, später erst wachte fernes Donnermurren auf.

Plötzlich verstand der Knecht den Mond und die Leere des Himmels. Das Wetter schlug um! In die langen Tage der Hitze ' fiel ein fremder Ton. Vitus verirrtes Auge sah die Welt wieder, er fühlte den reif hängenden Halm, er spürte die dunkle Gewalt über dem schlafenden Dorf und dem Acker, der ihm Lehen und Nahrung gab. Den Murmelbach wußte er wieder unten im schmalen Tal neben dem Weizenfeld. Fünf Fuhren standen in Mandeln unten, der ganze Reichtum seines Bauern!

Bis er den neuen Drang erkannte, war Vitus schon im Gehen. Ja, den Bauer wollte er wecken. Du, das Wetter schlägt um, fahren wir den Weizen ein! Der Mond ist gerade noch hell genug. Aber mit jedem Schritt befiel ihn die Erregung mehr.

Der Bauer fuhr auf vom Schlaf, als der Knecht an die Kammertür schlug. „Weizen einbringen? Jetzt, in der Nacht? Da hab ichs noch nie getan!“

„Nein“, sagte Vitus draußen, „aber diesmal muß es sein!“

Der Bauer saß einen Augenblick stumm in seinem Bett. Muß, hatte der Knecht gesagt, muß! Seine Stimme wurde unwirsch: „Geh in die Kammer und schlaf deinen Rausch aus! Weiß der Teufel, wer dir den angehängt hat!“

In dem Wartenden vor der Kammer stieg etwas hoch, ein dumpfer Zorn. Er fühlte seine harten Muskeln sich zusammen-krampfen. Aber nein, du bist der Bauer, ich bin der Knecht! So nahm er sich zusammen und entgegnete sanft: „Bauer, ich weck den Roßknecht und tu den Wagen aus der Scheune.“

Da sprang der Bauer aus dem Bett und wollte loswettern. Aber Vitus stand schon drüben in der Knechtekammer. „He, einspannen; der Weizen muß eingebracht werden!“ Seine Stimme tat dunkel und spröd, der Roßknecht erwachte gleich davon.

„Einspannen? Jetzt, in der Nacht? Fahr allein hinab!“ begehrte der andere auf.

Vitus brauste es schwül im Kopf. Er kannte sich selber nicht mehr, als er Zugriff. Die Hose und die Holzschuhe warf er dem ächzenden Roßknecht noch nach in den Stall. Leicht wäre ein Mensch zu erdrücken, dachte er mit halber Befriedigung. Das will ich sehen, der Weizen wird eingebracht! Der faule Schotterhang hinten im Waldtal — wenn da ein wilder Regen kam, ein Wolkenbruch! Prüfend sog er die Luft ein, als er über den halbdunklen Hof ging. Eine Stunde hielt es wohl noch oder zwei

Vor dem Scheunentor stand der Bauer. „Vitus, hat dich die Narrheit befallen? Weizen einbringen, in der Nacht!“

„Es muß sein, Bauer. Em Wetter kommt herauf!“

„Ein Wetter, ha ha! Werden mehr noch kommen! Und merk dirs: Bauer bin ich!“

Vitus schaute unverwandt in das fahle Düster, das ihn erdrücken wollte. Es gärte tiefer und stärker in ihn. „Bauer, halt mich nicht auf! Hörst du die Stalltür gehn? Der Roßknecht kommt schon,“ sagte er langsam und mit verhaltener Stimme.

Ein böser Schimmer funkelte in Vitus Augen. Dann riß er das Tor auf, daß es krachend an die Wand chlug. „Bring Gabeln und Wiesbaum!“ brüllte er den Bauer an.

Doch als sich der Knecht zur Wagenbremse bückte, warf der Bauer sich stumm gegen ihn.

Sie rangen wortlos im Dunkeln, der Bauer und der Knecht- Es knarrte das Tor, der Wagen kam langsam ins Rollen. Und jäh geschah es, daß der Bauer von einem harten Hieb halb betäubt an der Scheunenwand lehnte. „Vitus, Vitus!“ flüsterte er. In seinen Augen lag ein stummer Schrek-

bo trug es sich zu, daß sie in dieser Nacht noch zur Ernte fuhren. Auch die Bäuerin kam nach und die Magd. Die scheu Mitlaufenden Kinder mußten die Mandeln umlegen. Daheim blieb niemand. Nur der Stier brüllte im Stall und riß an der Kette, angesteckt von der. Unruhe.

Vitus, der Knecht, stach mit seiner lang-zinkigen Gabel schweigsam hinein in die Garben und hob sie auf den Wagen, gleich ihrer fünf auf einmal. Der Bauer lud auf der anderen Seite stumm auf, der Schweiß lief ihm die ganze Zeit herab und brannte in den Augen, Seine Hände zitterten, und er wußte nicht, war es wegen der Eile oder vor Furcht. Der Roßknecht aber führte Fuhre um Fuhre hinauf zum Haus.

Nicht viel nach Mitternacht lag die letzte Garbe auf dem Wagen Der vergehende Mond verlor sich allmählich hinter einer schwarzen Wand. Nur die steinige Feldstraße lag noch wie ein fahlerer Streifen da.

Vitus stand eine Weile noch am verschlafen murmelnden Bach „Abdämmen sollte man ihn; eine Hacke, wenn ich hätte!“ Dann aber brach er die Stauden über das Knie ab und trug sie hinein auf den Ackerrain. Große Bachsteine schleppte er zu, die mußten den Wall niederschweren. Der Bauer sprach nichts, er trug Stauden und Steine, und der Knecht baute auf. Zuletzt wuschen sie sich die Hände im fußtiefen Bachwasser.

Daß jetzt ein schreckhaftes Wetter losbrach, noch bevor sie das Haus erreichten, kümmerte den Knecht nicht mehr. Todmüde fiel er auf sein heißes Bett und schlief einen guten Schlaf Die Hausleute saßen noch in der Stube und konnten nicht reden vor Feuern und Krachen Der Sturm stand auf und trug Regen herein, eine wahre Sündflut. Mit dem Wasser kamen Schlamm und Geröll. Der Wall half da nichts mehr. Und wenn eines den Mund auftat, sagte es nur: „Der Vitus, der Vitus!“

Der Morgen brachte einen trüben, windigen Regentag. Vitus, tat in der dunklen Stube nach der Morgensuppe den Löffel weg. „Was ist heut zu tun, Bauer?“

„Die Vermurung im Acker unten räumen wir ab,“ war die dumpfe Entgegnung.

Vitus, der Knecht, lächelt- horchend wie ein Kind in sich hinein, dann nahm er stumm Schaufel und Krampen und stieg hinab in das verwüstete Tal...

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