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Das gute En Je

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„Oremus ', sagte Wolfram und begann mit lauter Stimme lateinisch zu beten.

Es war der schrecklichste Tag meines Lebens. Die vier grauen, erdrückenden Zellenwände, das vergitterte Fenster, die eisernen Betten, das lateinische Litaneien und der Sterbende vor uns der Sterbende, ein Bild des Jammers Und eines furchtbaren und fruchtlosen Widerstandes gegen das unbarmherzige Geschick

„Kann nix sterben ", lachte der Pfannenflicker und wollte sich erheben. Allein Habel gab ihm einen Tritt, daß er an die Wand flog und in sein Nest aus Stroh zurückkroch

Schon begann ein neuer Abend. Gläsern, unförmig wuchteten die Schatten der gegenüberliegenden Gefängnismauern über uns; Kolkraben krächzten im Schlaf.

Und Miklos bettelte noch immer, und seine Brust bebte wie unter einem schrecklichen Kampf. Blau hoben sich seine Lippen von der wächsernen Blässe des entstellten Antlitzes ab

Die Klappe in der Tür sprang auf und zu, öffnete und schloß sich wieder, keiner von uns, außer dem Pfannenflicker, hatte auch nur einen einzigen Bisseh hinuntergebracht, obschon wir doch sonst nicht die Sattesten waren.

Die Nachtlampen flammten auf und erhellten das ganze Haus wie mit einem Schlag, ergossen ihren fahlen Schein in Höfe, Gänge und Zellen

Und Miklos saß aufrecht in seinem Bett

„Kann nix sterben ..flüsterte der Gezüchtigte in seiner Ecke, doch klang es diesmal weder hämisch noch verächtlich.

Da stand Spiegel auf. Ohne ein Wort zu sprechen, erhob er sich und trat schwerfällig vor das Eisenbett hin, sah den Kauernden wie unschlüssig an, drehte sich dann jedoch um und ging einige Male in der Zelle auf und ab. Die Hände in den Hosentaschen und mit breiten, schwankenden Schritten, ungefähr so, wie Seeleute zu gehen pflegen.

Verwundert sahen wir ihm nach, und Habel saß sprungbereit. Plötzlich aber blieb er wieder stehen, nahe, ganz nahe an dem Bett des Alten, so nahe, daß dessen Atem seine Wangen berührte, nahm die Hände aus den Hosentaschen und faltete sie. Faltete sie auf eine seltsame und beinahe feierliche Weise und

Keiner von uns wird es jemals vergessen können!

„Vater", sagte er, „Vater, sieh da, dein Sohn

Wahrhaftig, dünkten ihm keine Worte besser als die der Schrift oder fielen sie ihm nur gerade so ein, wahrhaftig, er sagte: „Vater, sieh da, dein Sohn!“

Aber ob Absicht oder Zufall, ob Fügung des Willens oder Spiel des Unterbewußtseins, es klang derart, daß wir zutiefst erschauerten davor. Und auch der Alte aüf seinem Läger horchte auf. Und wandte sein Antlitz dem vor ihm Stehenden zu und sah ihn an. Anders allerdings, als wir Menschen es gewöhnlich tun, mit den geschlossenen Augen sah er den vor ihm Stehenden an.

Flüsternd bewegte er die Lippen. Jedoch wie still wir uns auch verhielten und kaum zu atmen wagten, wir verstanden kein einziges Wort.

„Ja", sagte Spiegel, „ja “ Und ihm schien es ein Leichtes, die Rede des Alten zu verstehen.

„Ich bin jung und stark und schön “

Es wäre sinnlos, wiederholen zu wollen, was alles er mit dem Sterbenden gesprochen hatte, verstanden Wir doch schon damals den vollen Inhalt seiner Worte nicht. Er scherzte, lachte, schluchzte, alles, alles so wie ein Kind, das nach langen Jahren wieder vor seinem Vater steht, wie ein Söhn, der in die Fremde gegangen war und nun zurückgekehrt ist

Hart und glanzlos lag draußen die Nacht, doch wehte auch schon ein leichter, föhniger Wind.

„Ziehe hin, christliche Seele ", betete Wolfram laut, und sein kahler Schädel schimmerte Unwillkürlich dachten wir die Worte mit.

Laut heulte Zündel auf

Als der Aufseher sich über den Toten neigte, schüttelte er den Kopf.

„Er lacht..sagte er und vergaß ganz plötzlich' zu schimpfen. „Er lacht, muß schön geträumt haben vorher "

Zwei Hausarbeiter trugen den kaum erst entseelten Körper hinaus.

An der Tür stand Zündel und heülte laut.

„Kommt ihr entgegen, alle Engel und Heiligen ", betete Wolfram, und wir dachten seine Worte mit

Zwei Tage später wurde Spiegel aufgerufen.

„Besuch?" fragte er. und tiefe Röte färbte seine Wangen. Aber der Aufseher verneinte nur kurz.

„Ähnliches", knurrte er und schritt voran.

„Die Herren Väter", schimpfte er über die Schulter zurück, „die Herren Väter! Bohren und bohren, bürgen, treten ein, und schließlich gelingt es ihnen wirklich " Er war sehr unzufrieden mit der Welt

Als die Sprechzeit schon lange vorüber und Spiegel noch immer nicht zurückgekommen war, da wußten wir, es war mehr gewesen als bloß ein Besuch. Eilig schoben wir eine der Bänke zum Fenster und sprangen hinauf. Und streckten die Hälse, um in den Hof hinabzuschauen. Jedermann, der in Freiheit ging, mußte ihn durchschreiten.

Und wir kamen gerade zurecht, Spiegel, Hand in Hand mit einem hohen, schlanken Manne, seinem Ebenbild, zu sehen, wie er dem Ausgang zustrebte — ach, in unsere lichtesten Träume spielte diese Pforte hinein —, das Antlitz er

hoben, den Rücken gerade. Beide trugen sie das Haupt entblößt, und der stärker gewordene Föhn — jaulend verfing er sich in den Mauern und sauste bis herab — spielte mit ihrem Haar, mit dem vollen und braunen des Jungen, mit dem schon gelichteten, weißen des Alten.

Krachend fiel das grüne Tor iris Schloß.

Ein Flötenlied, so klang der frühlingshafte Wind

Als erster sprang Wolfram von der hölzernen Bank herab. Seufzend sprang er herab und starrte vor sich hin. Doch als draußen der Südwind lauter und immer lauter wurde, da hoben sich seine Augen plötzlich und sahen aus, als wären sie imstande, die Zellenwände zu durchdringen. Und sein tiefes, schmerzliches Seufzen ging über in ein stilles und liebliches Lächeln: „Vielleicht vielleicht wird die Welt doch noch schön ..

Aus dem im Leykam-Verlag erscheinenden Band: „Der alte Herr"

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