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Fünfhullnull Schilling

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Nicht, daß ich's nicht verstünde. Als gelernter Österreicher weiß ich um die Vokabel unserer angeblich ebenfalls deutsch sprechenden nördlichen Nachbarn natürlich bestens Rescheid. Der Knast, die Kneipe, die Rullen, das alles kennt man als Konsument der jenseits unserer Grenzen produzierten Fernsehkrimis ebenso wie die uns herübergelieferten Johannisbeersäfte, Aprikosenkonfitüren und Hähnchen, die oft nicht einmal das, sondern, wenn schon, Hühnchen sind und als Henderln vielleicht attraktiver wirken könnten, aber was soll's, die Händler wollen es so. Sie orientieren sich am größeren Markt, wo man nicht gewillt wäre, Ri -biseln zu akzeptieren, selbst wenn das italienische EU-Vokabel dem unseren näher kommt.

Aber nicht um die Sahnefront geht's mir so sehr. Nicht einmal darum, daß Deutsche so oft vor, in oder um irgend etwas gestanden haben, ohne wirklich schuldig zu sein, ohne also deshalb auch nur einen Tag sitzen zu müssen, sodaß man nach reiflicher Überlegung dahinterkommt, daß sie dort gar nicht gestanden haben, sondern lediglich sind.

Was mir an die Substanz geht, weil es mein Erinnerungsvermögen über die Maßen strapaziert, ist die jetzt auch bei uns zur Mode auflaufende Art und Weise, Telefonnummern und überhaupt jegliche Art von Zahlen herzusagen.

Vierundsechzig, fünfzig, dreizehn. Was war das doch für ein eingängiges, ja geradezu rhythmisches Aufeinanderfolgen dreier Zehnergruppen. Möglicherweise hätte der

selige Strauß Schani seinerzeit eine Polka schnell draus komponieren können. War es die Nummer der Geliebten, klang sie schon ohne Tondichter poetisch, war es die Rufnummer der Krankenkassa und hatte man keinen Notizzettel bei der Hand, konnte man sich die drei Zahlenpärchen bis zum Erreichen des Telefonregisters leicht merken. Vierundsechzig, fünfzig, dreizehn. Was hat man heute aus dem memorablen Trio gemacht?

Eine unbarmherzig hereinbrechende Ziffernwurst. Sechs vier fünf null eins drei. Hinweggefegt ist jegliche Möglichkeit, sich der Zahl persönlich zu nähern, spröde und feindselig, ja aggressiv springt sie einen an und sofort wieder davon. Ist's eine Fernsprechnummer mit Vorwahl und Klappe, die im Rruderland noch dazu Nebenstelle heißt, wird die Ziffernfolge vollends zum unbestehbaren Abenteuer, dem ich verständnislos gegenüberstehe.

Die Unsitte mag ihren Ursprung haben, wo immer sie will. Mir begegnete sie erstmals vor vielen Jahren in Deutschland, und ich war zwar entsetzt, aber guter Dinge, daß solcherlei in meiner Heimat nie und nimmer ansässig werden könne. Denn selbst wenn der Peter Weck in einer Fern-sehserie, die im Land unter der Enns handelt, als Räckermeister Hörnchen und Rrötchen herzustellen hat und dies dem germanischen Geldgeber zuliebe auch tatsächlich macht, läßt er zu Hause ja doch zweifellos Kipferln und Semmeln auf seiner wienerischen Zunge zergehen, und zwar weil sie - welch ein Zusatznutzen! - besser schmecken. Insgeheim also, so dachte ich, sind wir Österreicher immun gegen derartigen Sprech-Unsinn.

Doch gestern hielt der Untergang des Abendlandes Einzug auch in meine optimistischen Ganglien. Als mir nämlich mein Freund, ein Strizzi aus dem tiefsten Ottakring, mit Eltern aus Sankt Veit an der Glan und Preßburg, ein Erdäpfelknödeltiger, ein Zwirn-knäulerlverfechter, ein Reiselverteidiger, seine Kontonummer gegeben hat.

Dreisiebensiebennullachtdreieins-neunviereinssechszwei. Er wird auf die fünfnullnull Schilling, die er mir geborgt hat, warten, bis er schwarz wird.

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