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„Gelandet!”

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Ich wohne zur Sommerfrische in einem kleinen Dorf und trete eben vom „Kirchenwirt”, wo ich mein Nachtmahl eingenommen habe, hinaus in die alte, schmäle Gasse, über deren Giebeln schief und seltsam der Mond steht. Wie unwichtig ist ein mißlungenes Geschäft gegen das Glück eines solchen Abends, fern von der Einsamkeit der Stadt! Am Anfang der Welt muß die Erde in ähnlicher Stimmung aufgetaucht sein!

„Störet mir ja nicht den Frieden der Liebenden”, scheint der große Menschenfreund da oben angesichts einzelner Pärchen in der Weirtlaube zu sagen, während ein Zeitungskolporteur mit penetrantem Orgän und Auftreten, ein fettbedrucktes Journal- in seiner Rechten hin- und herschwenkend, sein „Gelandet!” unentwegt vor sich hinschreit und ihnen, den zärtlich Beflügelten, das Weltereignis des „achten Schöpfunigs- tages” in die Ohren wirft: „Heute am Mond gelandet!”

Dieser Mond stand senkrecht über mir und rief das Empfinden wach, daß Nächte heiliger sind als Tage, daß Menschen in solchen Nächten reifen… Dort oben ging er, der Gute aus meinem alten Liederalbum, ging „still durch die Abendwolken hin, und sein Schimmer goß Frieden ins bedrängte Herz…

„Gelandet!” — Was mochte unser stiller Trabant dazu sagen? — Nichts. — Er vernahm es ebensowenig wie die Liebenden, wie die Kinder in ihren Betten, die alten Leute in ihrer Kammer, die Mondsüchtigen und die Nachtwandler, er hört es ebensowenig wie die Dichter, die ihn, den Balsamspender der stillen Mitternacht, bitten, er möge warten auf das Amen eines ihm geweihten Liedes, ehe er den „Mohn seiner einschläfernden Gąben” um ihr Lager streut… Nein, sie alle wußten nichts von diesem Vollzüge, der die ganze übrige Welt vor die Bildschirme der Television bannte, in dieser Nacht des großen Schreies.

Wie geschwisterlich und meiner Vorläufigkeit bewußt, war ich doch zur selben Stunde direkt mit dem Universum, mit dem leuchtenden Diskus am Firmament verbunden, hier in dieser stummen, kleinen Gasse! Der alte Mann im Mond lächelt unberührt, unberührt von dieser alarmierenden „Berührung”. Er hatte hohen Besuch heute abend. Staatsbesuch. Vertreter einer Weltmacht aus der Nachbarschaft des Alls waren abge- stiegen… Doch da hatte niemand einen roten Teppich zum Empfang ausgebreitet. Da waren keine Buben und Mädchen in Landestracht und mit Blumen erschienen, keine Musikkapelle, keine Ehrengarde war aufmarschiert und was sonst bei Staatsbesuchen hier auf Erden so üblich ist. Wäre diese Beobachtung nicht der Überlegung wert, unsere Liebe zur guten Mutter Erde zu erneuern, zu vertiefen!

„Gelandet!” — Schon füllen sich die Vitrinen unserer Buchhandlungen mit Mondliteratur, mit Bänden über die Sensation des Jahrhunderts. Solches fordert seinen Platz und verdrängt den Genius der Dichter. Ein Wunder der Menschheitsgeschichte?

Es wird unsere Stuben nicht erhellen und nicht verdüstern, denn „jedes Wunder dauert nur drei Tage”, wenn wir einem russischen Sprichwort glauben wollen. Und die Liebenden werden weiterhin den Mond als ihren diskreten Verbündeten und Zeugen heißer Schwüre für sich in Anspruch nehmen. Der Schlachtruf „Gelandet!” wird sich kein Bett in ihrem Ohr zurechtmachen; nicht bei den Liebenden, nicht bei den Leidenden, nicht bei den Kindern und Greisen, nicht bei den Dichtern, von denen unsere Ideen ach so dürftig sind und auf deren Amtsemeuerung wir trotz allem nicht aufhören zu hoffen. Vielleicht werden wir am „achten Schöpfungstag” einst heimlich nach den Spuren ausschauen, die unsere Füße hinterlassen haben, sofern wir uns später einmal unseren Torheiten gegenüber überlegen genug fühlea werden.

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