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Guter Rat für „Verirrte“

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Was wissen wir vom russischen Volk? Da ist nicht nur die Barriere der Sprache, die uns hinderte, um mit den Menschen in unmittelbaren Kontakt zu kommen, nur einer von uns konnte mit Serbisch sich ein wenig verständigen, da ist nicht nur das Intourist-Arranigement, das uns vom Flughafen in den Autobus, mit dem Autobus ins Hotel und wieder mit dem Autobus auf eine Rundfahrt brachte, Gewiß, man hat uns keinerlei Beschränkungen auferlegt. Auf unsere Frage, ob wir uns in Moskau frei bewegen könnten, wurde uns erstaunt geantwortet, warum wir das überhaupt in Zweifel zögen. Wir haben uns auch ohne Paß, der blieb im Hotel, in den drei russischen Städten, die wir besuchten, Kiew, Moskau und Leningrad, absolut frei bewegt — zu jeder Tages- und Nachtzeit. Wenn Sie sich verirren, sagte man uns, dann brauchen sie nur zum nächsten Polizisten oder zum nächsten Passanten gehen, „Intourist“ sagen und den Namen des Hotels nennen, jeder wird sie bereitwilligst sofort auf den richtigen Weg führen.

Wir haben ein sehr höfliches und auch sehr gastfreundliches Volk kennengelernt. Es war die Höflichkeit eines sehr selbstbewußten, eines sehr großen, aber auch sehr gastfreundlichen Volkes. Man hatte uns gesagt, daß man dem Bedienungspersonal kein Trinkgeld geben sollte. Dort aber, wo sich ein größeres Maß an persönlicher Berührung ergab, nahm man gerne — kein Trinkgeld zwar — aber ein kleines Andenken aus Österreich.

Man hat aus uns Österreichern keine besondere Sensation gemacht, aber in den meisten Fällen wurde das Wort „Awstrici“ mit einem freudigen Aufleuchten der Augen erwidert. Als wir am ersten Abend in Kiew uns durch die Korridore eines mächtigen Hotels auf die Suche nach unseren Zimmern begaben, da stand auf einmal ein Fernsehapparat da und vor ihm einige Dutzend spannungsgeladener Zuseher. Es mußte sich herumgesprochen haben, daß wir Österreicher seien, denn einer der Zuseher packte mich am Arm und zog mich zum Bildschirm und sagte: „Wena, Wena“, Wien, Wien. Es war eine Übertragung der Eishockeymeisterschaft aus Wien.

Übrigens können wir mit Stolz auf ein Erlebnis hinweisen, was nicht gerade viele österreichische Besucher in der Sowjetunion gehabt haben werden, Minister bei Staatsbesuchen ausgenommen, als wir in der Hotelhalle plötzlich die Klänge der österreichischen Bundeshymne vernahmen. Nanu, dachten wir, so wichtig sind wir ja nun doch nicht. Im Fernsehen wurde das Finalspiel der Eishockeyweltmeisterschaft aus Wien übertragen. Vielleicht hat einer den Lautregler stark aufgedreht, um den Österreichern eine Freude zu machen.

Es müßten allerdings in Moskau und in den großen Städten der Sowjetunion täglich Dutzende Nationalhymnen gespielt werden, wenn man den ausländischen Gästen eine Freude machen wollte. In den großen internationalen Hotels hört man alle Weltsprachen, täglich, ja stündlich entladen die Autobusse von Intourist zahllose Gruppen ausländischer Touristen.

Die Österreicher, sagt man, sind ein höfliches und bescheidenes Volk, und sie werden darob auch in der Welt geschätzt. Im Grund ihres Herzens halten sie sich doch für etwas Besonderes und schauen auf die Fremden gerne mit wohl- oder übelwollender Herablassung. Darum tut es gerade dem Österreicher gut, ein wenig über die Grenzen zu schauen, um zu erfahren, daß auch anderswo Menschen leben, die nicht gerade darauf warten, von uns entdeckt zu werden. Für manchen Wiener mag es ein heilsames Erstaunen sein, wenn er so nebenbei erfährt, daß ein Großfürst von Kiew im 11. Jahrhundert seine drei Töchter an den König von Norwegen, den König von Frankreich und den deutschen Kaiser verheiratet hat.

Diesen Stolz auf die eigene Geschichte und die eigene Vergangenheit spürt man überall mindestens so stark wie den Stolz auf die gegenwärtige Leistung. Daß Moskau eine große Stadt ist, weiß man, daß sie heute nahezu so viele Einwohner zählt wie ganz Österreich, wird allen imponieren, die mit Zahlen auch Vorstellungen verbinden. Wenn uns gesagt wurde, daß in den letzten zehn Jahren die Hälfte der Moskauer Bevölkerung neue Wohnungen erhalten hat, so steckt dahinter mehr als Propaganda. Man kann in dieser Stadt Kilometer auf Kilometer durch neue Wohnviertel fahren. Ohne Scheu zeigt man uns aber auch die zerfallenden Holzbuden am Rande der Stadt. Auch sie werden eines Tages verschwinden.

Wir sahen die Alpträume des stalinistischen Baustils, mit Türmchen und Zierat, mit Keramikplatten und Heldenfries — man hat uns erklärend hinzugefügt, daß auf solche Weise nicht mehr gebaut werde — und wir sahen daneben Verwaltungsund Wohngebäude, fern allem süßen und sauren Kitsch, so sachlich, so nüchtern und so modern, wie man es in jeder Großstadt der Welt sehen könnte und wie sie in der Weltstadt Wien so selten zu finden sind. Wir sahen breite Straßen mit sechs, acht und zehn Fahrbahnen, ideal für einen Massenautoverkehr, von dem die Moskauer überzeugt sind, daß er auch eines Tages kommen wird. Schon jetzt träumen sie vom Fiat 600, der mit einer Jahresproduktion von 500.000 Stück in Lizenz erzeugt werden soll. Mehr aber noch, wir glaubten dies aus einigen Bemerkungen entnehmen zu können, träumen sie von einer Auslandsreise.

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