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„Haken Sie Feuer

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Immer öfter zogen die Bekannten, wenn es ans Rauchen ging, kleine Nickeldinger aus der Tasche, knipsten damit vielfach, wobei Funken wie beim Gasanzünder durch die Luft sprühten, und lehnten die von mir gereichte Streichholzflamme ab, weil sie auf eigenes Feuer hofften. Kam dieses endlich, so beleuchtete es eine befriedigte Nasenspitze und einen strapazierten Daumen. — Kinder, dachte ich mir, kleine Kinder, die ihr Spielzeug haben wollen! Ich verhielt mich zu der Sache ablehnend.

Aber endlich sagte ich mir: du mußt es doch wenigstens probieren! (So wie man auch in Monte Carlo „bloß zum Probieren“ in den Spielsalon tritt; die Folgen sind bekannt.) Ich trat ins nächste Geschäft und kaufte mir ein hervorragendes, patentiertes Feuerzeug — etwa zum Preise von zehn Paketen Streichhölzer. Während der Mann einwickelte, überschlug ich schnell im Kopf: jedes Paket hat zehn Schachteln, macht im ganzen hundert — jede Schachtel enthält sechzig Streichhölzer — hundert mal sechzig... also, das sind sechstausend — mithin kommen von der sechstausendsten Zündung bereits alle gratis..., ein glattes Geschäft. „Wünschen Sie auch Brennstoff?“ fragte der Verkäufer. Ach ja, den hatte ich ganz vergessen. Als ob man das Feuer so, ohne was, haben könnte! — „Jawohl“, sagte ich, „und füllen Sie gleich auf.“ Er tat es und knipste: eine wunderbare Flamme!

Froh dachte ich beim Nachhausegehen: Wie konnte ich nur fünfzehn Jahre ohne Feuerzeug auskommen? Jetzt heißt es aber nachholen, mein Lieber... Denke nur: keine glühenden Köpfchen, die auf den Teppich fallen, keine verkohlten Holzreste, die man fortschleudern muß; mit einer Hand ziehst du das köstliche “Nickelding aus der Westentasche, und schon —.

Als ich mit dem Lift hinauffuhr, zupft- ich schon an der Papierhülle und im Zimmer wurde gleich ausgepackt. Da fiel mir ein rosa

Zettel in die Hand: „Vor Gebrauch unbedingt lesen!“ — Und hier muß ich sagen, daß mir diese Gebrauchsanweisungen, diese Warnungen in letzter Stunde, auf den Tod zuwider sind. Reklame und Gebrauchsanweisung gehören zueinander wie Bluff und Dementi, wie Verlobung und Schwiegermutter. Du beißt auf die süße Kandiskruste der Reklame und triffst auf den bitteren Kern der Gebrauchsanweisung. Immer wenn du kauflustig bist, schreien Plakat und Schaufenster: „Das ist das beste Ding der Welt; alle Schwierigkeiten sind behoben; ein Griff, ein Bett usw., hier wartet auf Sie das Glück!“ Ist aber der entscheidende Griff, der ins Portemonnaie, getan, und du willst dich des Einkaufes freuen, dann, ja dann kommt die Gebrauchsanweisung. Und die hat gleich einen anderen Ton! Sie braucht sich ja nicht zu genieren, du hast ja schon gezahlt. Sie herrscht dich an wie einen Filmstatisten. Sie macht dich sogleich für das Nichtfunktionieren des gekauften Gegenstandes verantwortlich. Die Sache ist kinderleicht, sagt sie, aber wenn du Punkt 1, Punkt 2 und besonders Punkt 17 nicht beachtest, so hast du es nur dir zuzuschreiben. Mit Verdruß nimmst du wahr, daß du nicht bloß einen Gegenstand, sondern auch noch eine Gouvernante eingekauft hast. Rings um das Ding spuken neunundneunzig Verpflichtungen. Vergebens siehst du dich nach dem Hersteller um, in der Absicht, ihm sein impertinentes Erzeugnis an den Kopf zu werfen. Er ist nicht vorhanden, zwischen dir und ihm erhebt sich turmartig eine metallene Registrierkasse. — Ach, unser Leben ist eine einzige ausgedehnte Gebrauchsanweisung für „Leben“. Reklamationen erfolglos.

Diese Gebrauchsanweisung hier war noch relativ zahm. Ich dachte, man müsse bloß knipsen, und schon sei die Flamme da, allein es stellte sich heraus, daß sie lediglich der Endeffekt einer langen, zielbewußten Arbeit war — an mir und am Feuerzeug. Vor allem mußt du nämlich einen '“upferrappen haben, um die Geschichte loszuschrauben. Dann gibt

es den Zündstein. Drittens den Benzindocht. Viertens den Tankraum, der mit einer Art Werg angefüllt ist (demselben Werg, womit man die Herrenschultern ausstopft, damit wir herkulisch ausschauen). Und fünftens den Brennstoff.

Nun nutzt sich das alles ab, wird weniger, nicht wahr, und man muß es ersetzen; und wenn man's ersetzt, so kann es wieder von guter oder von schlechter Qualität sein. Es gibt Zündsteine und Zündsteine, mein Lieber. Einige sprühen wie Oskar Wilde; andere nicht, außerordentlich nicht! Es gibt Dochte, die sind die reinen Blindschleichen, du mußt beim Einkauf scharf zusehen. Das berühmte Werg hingegen verschmutzt sehr rasch, wenn der Brennstoff nicht gut ist; ist er gut, so verschmutzt es auch, aber langsamer. Und wage es nicht, das Werg etwa durch Watte zu ersetzen; die Strafe folgt auf dem Fuße ... Für den Brennstoff ist es dagegen am besten, wenn du Stammkunde bist: Und vergiß auch nicht, zweimal in der Woche zu tanken. Du streichst dir die Tage am praktischsten im Kalender an. Uebrigens kann es noch passieren, daß die Feder vom Zündrädchen schlappmacht oder bricht (was ist schon ewig!...); dann mußt du freilich das Ganze in die Fabrik schicken. Aber das dauert nur sechs Wochen — ach, nicht einmal!

Allerdings machte ich diese Erfahrungen erst später. Anfangs klappte alles, ich freute mich bei jedem Knipsen und lehnte angebotene Streichholzflammen heftig ab. Nahm jemand eine Zigarette, so schnellte ich mit meinem Feuer vor. Ein moderner Mensch hat ein Feuerzeug, verkündete ich meinen Bekannten und suchte sie zu der Errungenschaft zu überreden. Oh, ich flammte auf bei jeder Zündung.

Allmählich aber mußte ich feststellen, daß die Zündungen immer seltener zustande kamen. Die Feuerzeugflitterwochen waren vorüber. Wiewohl ich doch manche trauliche Stunde mit Zündsteinersetzen, Brennstoffersetzen und greulich schmutzigen Fingern zubrachte. Schon nahm ich zwei bis drei Fehlzündungen als selbstverständlich in Kauf („es muß erst warm werden“); Schon erwarb ich mir Feuerzeug Nr. 2, ja später Nr. 3 und 4, nur um den Honigmond wieder zu genießen. Aber da hatte ich dann so viel mit Aufschrauben, Nachfüllen, Einsetzen usw. zu tun, daß ich gar nicht mehr zum Leben kam und auch die Seife knapp wurde. Auch mußte ich mir das Feuerzeug stets mühsam aus der einen Tasche hervorkrabbeln, während ich doch früher die Streichholzschachteln in allen Taschen, auf allen Tischen liegen hatte ...

Und dann kam jener wunderbare Moment des „Ach was!“, wo der Mensch Gulliver die dreißigtausend Liliputfesseln mit einem Ruck abstreift und blitzenden Auges dasteht. Ich machte nicht mehr mit. „Ach was!“ sagte ich, „ich kaufe mir einfach, für fünfzig Rappen Schwedische ...“ Denn mir war ein Licht aufgeknipst worden — über die Wunder der Technik, über jenen berühmten Knopf, auf den man bloß zu drücken braucht. Für diesen einen Moment des Knopfdrückens mußt du nämlich x Stunden lang schuften; ach, wir haben alle keine Zeit mehr, weil unsere ganze draufgeht, um zeitsparende Apparate zu bedienen! Ein gebranntes Kind fürchtet das Feuerzeug. Zurück zur Natur, zur Haushaltware!

Noch nie habe ich Streichhölzer so genossen. Kein sorgenvolles Einkaufen von Brennstoff, von Zündsteinen, kein Nachfüllen mehr, man denke, und vor allem keine Gebrauchsanweisung! Ich war frei, endlich allein, und ich konnte nachdenken, zum Beispiel über Streichhölzer. Sie waren Menschen, sechzig kleine Zwerge in einer Schachtel: ihr Köpfchen flammte auf von einer großen Idee, und hing dann schwarz am gebogenen Gluthals — erledigt, ein ausgebranntes Genie! Man konnte sie eventuell als Zahnstocher benützen oder als Monokel ins Auge klemmen, ja man konnte sie sogar als Schimpfwort verwenden — Sie Zündhölzl! Man konnte vier als Quadrat legen, eines in der Mitte brennend aufpflanzen und sagen „Place de la Concorde!“ Man konnte das verglühende Streichholz an den blauen Mantel einer Kerzenflamme halten und es strahlte dann weiß auf wie Magnesium beim Photographieren, bitte recht freundlich. Oh, sie waren so bescheiden, sie waren immer da, und man konnte alles mit ihnen machen, denn sie entzündeten die Phantasie! ... Ich fühlte mich wieder als Lichtbringer und nicht als der Hereingefallene der Technik.

— Aber ein Feuerzeug ist doch sparsamer und praktischer! ruft da jemand.

— Schon möglich, sage ich: nur daß ich nicht gewillt bin, die enormen Spesen des Praktischen zu tragen. Uebrigens, wollen wir doch mal sehen: Haben Sie Feuer:

—, —, —, — (momentmal) —? —?

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