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Digital In Arbeit

ICH BEKOMME EIN TELEPHON

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Die Eingaben waren eingereicht. Die Eingaben wurden angenommen. Sie waren mit Resolutionen, Empfehlungen und, versteht sich, mit den amtlichen Stempeln hinreichend versehen. Mehr als das: Es war bekannt, daß das Telephon am Dienstag bei mir aufgestellt wird.

Und nun kam er, der glückliche Dienstag. Es war am Nachmittag, da klc-pfte jemand einige Male mit dem Fuß an meine Tür. Auf der Schwelle standen drei Männer in kurzen, wattierten Jacken.

„Kostikow Sawelij Petrowitsch wohnt hier? Wir sind gekommen, um ein Telephon aufzustellen.“

Als der. durch seinen Lack glänzende Apparat auf meinem Tisch stand Und meine Frau, ihn ausprobierend, ihre Uhr mit der astronomischen Uhr verglich, sagte ich ganz beglückt: „Lena, in der Flasche ist noch was. Bring sie her, wir wollen noch den Meistern ein Gläschen einschenken." Die Meister tranken aus, räusperten sich und gingen fort.

„Sollen wir nicht Alexej Nikolajewitsch anrufen?" schlug meine Frau vor.

„Er wird sich bestimmt freuen!“

„Na gut“, sagte ich. Aber ehe ich poch Zeit hatte, den Hörer abzunehmen, klingelte es. Irgendeüne grobe Männer- • stimme bat, ein Lasttaxi zur Semljatschkastraße 31 zu schicken. Ich sagte, daß hier ein Irrtum vorliege und hängte auf, aber da begann das Telephon schon wieder zu klingeln: eine unbekannte Frau sagte, sie sitze mit ihren Sachen und zwei Kindern auf dem Bahnhof und bat sehr inständig, ihr ein Lasttaxi zu schicken. Taxis wurden unglücklicherweise nicht nur von ihr allein benötigt. Sie wurden benötigt: zur Koropot- Kinstraße 17, zur Perowskajastraße 18, zur Chalturinstraße 19, zur Sassulitschstraße 20. „Was für eine Nummer wählten Sie?" fragte ich, und man erwiderte mir: „Lasttaxi — 4050 ᾠ“

Meine Frau rief die Auskunft an: „Ja, 4050 ist laut dem Telephonbuch eine Taxistelle.“ — „Anscheinend hat man das im Telephonbuch durcheinander gebracht und uns nicht die richtige Nummer gegeben", meinte meine Frau. „Sie hatten doch früher eine andere Nummer versprochen.“

Kaum war ich eingeschlafen, als ich wieder durch einen langen, beharrlichen Triller aus dem Bett kriechen mußte, obgleich diesmal der Apparat zwecks Tonisolierung mit dem Teewärmer zugedeckt war. Ich ging heran, und mit gedämpfter Stimme, um meine Frau nicht zu wecken, sagte ich wie gewöhnlich: „Ich höre!“ Als Antwort vernahm ich:

„Zum Teufel, warum schlaft ihr eigentlich? Könnt ihr nicht wachen am Telephon! Ich werde mich beschweren! Ihren Namen? Ein Taxi zur Lunatscharskijstraße 222.“

Morgens, kaum daß es hell wurde, befand ich mich schon im Wartezimmer des Chefs des Telephonamtes, des Genossen Shesherenko.

„Warten Sie, ich bin beschäftigt“, sagte er. In meiner Gegenwart begann er, mit jemanden über einen Sonntagsausflug zum Fischfang ein telephonisches Gespräch zu führen. Ungeduldig wartete ich ungefähr zwanzig Minuten, und dann stellte es sich heraus, daß ich nur zwei Phrasen von ihm vernahm. „Reichen Sie ein Gesuch ein. Geben Sie es meiner Sekretärin.“ „Lassen Sie es hier liegen", nickte diese hernach. „Übrigens, Sie haben es nicht formmäßig geschrieben. Schreiben Sie es nochmals. So ᾠ Und in zwei Ausfertigungenᾠ" Es vergingen einige Tage, in denen sich nichts geändert hatte. Als ich wieder auf dem Telephonamt erschien, sagte das strenge Mädchen zu mir:

„Ihre Eingabe ist noch nicht durchgesehen. Der Chef war beschäftigt.“ Indem ich das Mädchen zur Seite schob, stürzte ich in Shesherenkos Arbeitszimmer hinein.

„So kann man nicht weiterleben! Ich schlafe nicht, meine Frau ist schon krank geworden ᾠ Sie ᾠ“

„Wir sind ja hier kein Krankenhaus“, unterbrach er mich so unzeremoniell wie ein Fräulein vom Amt. „Und überhaupt, was interessieren mich Ihre privaten Angelegenheiten. Eine Nummer ändern — das geschieht nach .allgemeiner Ordnung"‘, sagte er. „Abschalten — das kann ich sofort.“

Er saß da in seinem Sessel; streng, monumental, seiner Kraft bewußt, und ich saß vor ihm als erbärmlicher Bittsteller. Mit Abschaltung habe ich mich nicht einverstanden erklärt und begann, die „allgemeine Ordnung" abzuwarten. In der einen Woche hatte meine Frau so abgenommen, daß wir uns entschlossen, nicht zum Geburtstag von Alexej Nikolajewitsch hinzugehen. Lena hatte nichts anzuziehen, alle Kleider hingen auf ihr wie auf einem Kleiderbügel. Zum Schluß sagte Lena zu mir (berücksichtigen Sie, sie ist Geschichtslehrerin): „Vasco da Gama ist an Karbunkeln gestorben, Alexander von Mazedonien an Malaria, und ich werde am Telephon sterben."

„Nein, er soll sterben“, erwiderte ich, und gleich fiel mir ein Gedanke ein (wieso er mir eigentlich nicht früher schon eingefallen war): Ich werde allen jenen, die Mittel zum Transportieren von Schränken und Konzertflügeln benötigen, die private Telephonnummer vom Chef des Telephonamtes geben. Ich hatte, nachdem ich von der Arbeit nach Hause gekommen war, die Galoschen von den Schuhen noch nicht abgenommen, als ich schon das Klingeln des Telephons vernahm.

Die Gier nach Rache war in mir so groß, daß ich keine einzige Möglichkeit ungenutzt lassen wollte. Indem ich nasse Spuren und Stückchen Schnee auf dem Parkett hinterließ, rannte ich durch das ganze Zimmer zum Telephon.

„Sie wünschen ein Lasttaxi?“ fragte ich erfreut.

„Das erstemal, daß ich einen solchen freundlichen Umgang vernehme“, erwiderte aus dem Hörer eine tiefe Baßstimme.

„Nun, Bürger, wählen Sie, bitte, die Nummer 3545. Alles Gute!“

Das Telephon klingelte ununterbrochen. Und so saß ich, ohne die Galoschen abzunehmen, unter denen sich auf dem Parkett eine regelrechte Pfütze gebildet hatte.

Ich hörte erst dann mit dem Experiment auf, als Shesherenko anrief: „Bürger Kostikow, hören Sie auf, anderen meine Nummer zu geben, oder ich werde Ihr Telephon abschaltenᾠ"

„Nein, abschalten, das werden Sie nicht“, erwiderte ich, indem ich meine Kraft verspürte. „Es wird dann für Sie viel schlimmer sein. Ich werde über alles an die Zeitung schraben. “ „Genosse Kostikow, verstehen Sie meine Lage, es gibt keine freie Nummer, keine einzige, gestern haben wir die letzte abgegeben, aber ich verspreche Ihnen, die Nummer zu ändern. Ein Friseurladen zieht dieser Tage um."

„Was?“ schrie ich. „Und mir wollen Sie diese Nummer an- hängen? Jetzt iäutet man bei mir wegen Lasttaxis. Und dann wird man sich bei mir für Dauerwellen anmelden. Nein!“ In der noch übrigbleibenden Zeitspanne der Nacht setzte ich fort, allen, die bei mir anriefen, Shesherenkos Telephonnummer zu geben, und morgens, als ich mich zur Arbeit begab, befahl ich meiner Frau, dasselbe zu tun.

Als ich zur Arbeit erschien, sah ich im Vorzimmer einen Mann in kurzem Mantel stehen. Das war Shesherenko. „Hören Sie“, sagte ich zu meiner Sekretärin, „wir werden mit der Beratung, die wir für vier Uhr angesetzt hatten, sofort beginnen. Rufen Sie alle Technologen her!“ Die Beratung zog sich lange hin. Wir berieten über alles eingehend. Als ich die Leute dann schließlich entließ, sah ich Shesherenko in der Tür stehen.

„Darf ich?“ fragte zaghaft der Besucher. Sein Gesicht war blaß. Er sah nicht ausgeschlafen aus. Sein Blick war trüb.

„Womit kann ichifinetunteffeh.miphrocken, indem ich mich mit dem Rücken an die Sessellehne stützte, um ein rrfohifmbntales Aussehen anzunehmen.

Es schien, daß ich mein Ziel erreicht hatte, denn Shesherenko schrumpfte sogleich zusammen. Er meinte nur: „Sehen Sie, man muß damit Schluß machen.“ Worauf ich nachlässig erwiderte: „Womit? — Ach, entschuldigen Sie, ich habe vergessen — ein wichtiger Anrufᾠ" Ich nahm den Hörer ab, dabei arbeiteten meine Gedanken. Wen könnte ich zum Fischfang einladen? Ach ja, Alexej Nikolajewitsch, der ist ein großer Angler! „Alexej Nikolajewitsch? Grüße, hier ist Sawelij Petrowitsch, sag, was hältst du von einem Fischausflug?"

Mein alter Freund, der wußte, daß ich mich niemals fürs Fischen interessiert hatte, zog aus meiner Einladung einen ganz bestimmten Schluß; denn eine halbe Stunde später rief er meine Frau an und sagte:

„Sawa, ein Gerücht ist im Umlauf, daß du den Verstand verloren hast. Ich glaube dem. Ich sah ja, was du heute morgen für Augen hattest. Das alles kommt vom Telephon. Ich werde heute noch alle Drähte zerreißen. Und laß du dir einen Krankenschein geben und komme gleich nach Hause.“

Schlüsse aus meinem Telephongespräch zog auch mein armer Besucher Shesherenko. Mir schien, daß ein leichter Schauer ihn überlief.

„Nun, sagen Sie, wann wird das ein Ende nehmen?“ setzte er fort. „Das ist doch Tyrannei, meine Frau ist davon krank geworden.“

„Krank geworden?“ fragte ich gleichgültig. „Wir sind ja hier kein Krankenhaus. Und im allgemeinen, mich interessieren Ihre privaten Angelegenheiten nicht.“

„Wissen Sie, ich hätte mein Telephon abgeschaltet. Aber ich bin doch eine Person mit Verantwortungᾠ"

„Das geht mich nichts an. Reichen Sie ein Gesuch ein, daß Sie mich bitten, den Bestellern von Lasttaxis Ihre Telephonnummer nicht zu geben, insofern Sie nicht später als bis morgen die Nummer meines Telephons ändernᾠ“

„Aber ich kann doch unmöglich Ihnen meineᾠ" sagte Shesherenko hilflos.

„Mich geht das nichts an! Außerdem, Genosse Shesherenko, ich muß mich beeilen. Ich habe nur noch zwei Minuten zur Verfügung.“

Der Besucher riß in seiner Nervosität ein Blättchen aus seinem Notizblock und schrieb das Gesuch. Ich durchlas. Alles war richtig, nur die Zeilen an wen und von wem standen wegen Platzmangels übereinander. Und sie’sollten nebeneinander stehen. Ich reichte das Gesuch seinem Autor:

„Ist nicht formgemäß, schreiben Sie es nochmals. Und in zweifacher Ausfertigung.“

„Das ist aber eine Verhöhnung!" schrie der Besucher auf und lehnte sich in seiner Erschöpfung an den Sesselrücken.

„Dann wird das Gesuch nicht angenommen, und ich werde fortsetzenᾠ"

Am anderen Morgen hatte mein Telephon bereits eine andere Nummer. Und woher nahm der Chef vom Amt diese Nummer? Hat er etwa seine eigene Nummer abgegeben? Nein, er hatte sie einfach von einem Bekannten weggenommen, von einem Bekannten, bei dem er vor ein paar Tagen außer der Reihe ein Telephon aufgestellt hatte.

(Aus dem Russischen übertragen von Leonid Olschwang)

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