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Im Räderwerk

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„Im Räderwerk" („L’Engrenage"), ein Stück von Jean Paul Sartre, besteht aus den Szenen, die er für „Die schmutzigen Hände" nicht verwendet hat. Das war gut für „Die schmutzigen Hände", daß sie ins „Räderwerk" gekommen sind. Aber das war nicht gut für dieses andere Stück, das im selben Land und im gleichen Geist spielt wie „Die schmutzigen Hände". Das beste an ihm ist der Name Sartre. Das übrige ist bloß knirschendes Getriebe. Sartre liebt es, das persönliche Moment großer Affären zu betonen. Er liebt es, zu zeigen, daß etwa die belanglose Eifersucht eines Küchenmädchens zur Revolution führen kann, und was dergleichen Verkettungen von Politik und ihrem Personal mehr sind. „Im Räderwerk" ist ein epischer Bilderbogen und dramatisch verbaut. Darüber kann alles Theater, das Platznehmen von Schauspielern im Zuschauerraum und was derlei Späße sind, nicht hinwegtäuschen. Allerdings ermöglicht die Sartresche Perspektive immer einige Einsichten in die Psyche des Menschen, der ihm nur der Handlanger großer Ereignisse ist. So zeigt er diesmal sehr gut das Schwanken der verschiedenen Zeugen, die über den gestürzten Diktator aussagen sollen, indes sich draußen das Rad der Revolution einmal in diese, einmal in jene Richtung zu bewegen scheint. Durch die Methode, immer wieder zurückzublenden, wird das Publikum, das eigentlich zum Tribunal eines kleinen Weltgerichts werden sollte, zum Psychiater. Eine Rolle, in der es sich nicht sehr wohl fühlt. Vor allem, weil es schweigend einem nicht müde werdenden Redewerk ausgeliefert ist. In der Aufführung im Theater der Courage (Regie: Edwin Zbonek) wird viel und sehr laut gesprochen. Von einigen gut (Eva Zilcher und Kurt Radlecker etwa), von anderen schlecht. Doch gehört das wahrscheinlich zur Atmosphäre. Es bleibt nichts, das man überhören könnte.

Ins Räderwerk einer viel schlechteren Aufführung kam ein anderes Stück. Es ist dies „D e r Gärtner von Toulouse" von Georg Kaiser, der eine Woche lang im Theater amParkring gespielt wurde. Dann wurde er von der Direktion abgesetzt, weil diese auf einmal daraufkam, daß sie mit der Inszenierung nicht einverstanden -war. Sie hätte sie überhaupt nie zulassen dürfen. Wenn hier trotzdem darüber gesprochen werden soll, so, nur darum, weil hier eines der späten Stücke Georg Kaisers unbemerkt an uns vorüberzugehen droht. Denn es ist ein brauchbares Theaterstück, trotz allem.

Georg Kaiser hat in allen seinen wesentlichen Stücken nur einen einzigen Gedanken immer wieder in anderer Form gedacht. Es ist der Gedanke, daß es zwei Wirklichkeiten gibt. Die eine, das ist die, die wir sehen, die wir spüren, an die wir stoßen. Die andere, das ist die tiefe, die verborgene, die eigentliche Wirklichkeit: die Welt, die zählt. Beide Wirklichkeiten durchdringen sich, aber sie stimmen nicht immer überein. Die innere Wirklichkeit im „Gärtner von Toulouse": Die Liebe zweier Menschen kann rein utid gut sein, ganz gleich, was früher war. Wenn man die Kraft hat, es zu überwinden und zu verwandeln. Es zählt der jetzige Augenblick — also die Zeitlosigkeit — und der feste, unverrückbare Glaube. Bricht die äußere Wirklichkeit (hier in Gestalt der Frau Teophot) in die innere Wirklichkeit ein, so muß diese, als die höhere, um jeden Preis wiederhergestellt werden. Und. sei es um den Preis eines Mordes. Das- geht aber nicht ganz: und hier klafft eine Lücke, die Georg Kaiser nicht schließen konnte. In seinen Stücken kehrt regelmäßig der Mord wieder, als ein Zeichen der Nichtübereinstimmung des Helden mit der äußeren Wirklichkeit, als eine Auflehnung gegen sie. Der Mord ist bei Georg Kaiser immer nur das Töten eines bösen geistigen Prinzips, das aus der Welt geschafft werden muß. Der Mord ist der einzige Gedanke, den er nicht zu Ende gedacht hat: denn von einem Mord kann keine befreiende, erlösende Wirkung ausgehen. Nur von einem freiwilligen Sühnetod. — Hier, im „Gärtner von Toulouse", wird durch die Tat des Gärtners alles zerstört: aber nicht durch den Mord selbst, sondern erst durch sein schäbiges Verlangen, seine Frau solle die Tat auf sich nehmen. Indem sie dies tut, sühnt sie endgültig ihre dunkle Vergangenheit und ist auch nach außen hin gereinigt. Indem er sie aber dazu zwingt, erweist er sich auf einmal als eine kleinliche, puritanische Frömmlernatur, der die echte Beziehung zur inneren Wirklichkeit abgeht, ja als ein Heuchler, dem es nur um den äiißeren Anschein geht. Und erst durch dies schäbige Verlangen -wird ihre Liebe zerstört. Es ist schade, daß dieses Stück so rasch an uns vorüberging.

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