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Immer nur Mord?

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Die Krimiwelle überspült den Bildschirm. Nun ist an sich gar nichts gegen Kriminalstücke zu sagen, auch nicht dagegen, daß sie in Serien dargeboten werden. Beispielsweise, war Monsieur Maigret ein gern gesehener Gast im Wohnzimmer; samstags zur gewohnten Zeit riß er ein Streichholz an seiner Mauer an und setzte, mit einem listig-freundlichen Blick, seine Pfeife in Brand. Krimis müssen wohl sein; sie würden manchem fehlen, ließe man sie plötzlich aus dem Programm verschwinden. Allerdings, weniger wäre hier mehr. Und außerdem und nebenbei bemerkt: das Leben hat ja nicht nur unerfreuliche Seiten. Es gibt immer noch Glück, Liebe, Treue, Opferbereitschaft, Dankbarkeit, Uneigennüt-zigkeit und ähnliche Begebenheiten, die darzustellen sich lohnte, doch sind das offenbar Relikte, mit denen die Programmgestalter sich nur ungern befassen.

Also nichts gegen Krimis im allgemeinen und gegen Krimis im Fernsehen im besonderen. Selbstverständlich befassen sich die Krimis mit Vorkommnissen, die einen kriminellen Einschlag haben. Der Möglichkeiten, sich gegen die unzähligen Paragraphen des Strafgesetzbuches zu vergehen, sind bekanntlich viele. Um nur ein paar zu nennen: Betrug, Unterschlagung, Erpressung, Einbruch, Raub, Fälschung, Fahrerflucht, Körperverletzung, Spionage. Jedes dieser Delikte läßt eine Vielzahl van Variationen zu. Sie werden jedoch kaum genutzt. Denn das liebste Kind der Krimiautoren ist der Mord.

Mord ist überhaupt die Voraussetzung für einen „echten“ Krimi. Wir haben uns daran gewöhnt, den Mord sozusagen als „natürlichen“ Bestandteil des Krimis zu betrachten. Wir sind schon so abgebrüht, daß wir gar nicht mehr darüber nachdenken, was ein Mord eigentlich ist. Deshalb sei er hier kurz definiert. Mord ist die vorsätzliche, mit Überlegung und mit gemeingefährlichen Mitteln ausgeführte Tötung eines Menschen aus niedrigen Beweggründen. Mit einem Mord wird ein Menschenleben ausgelöscht, meist auf grausame, brutale, heimtückische Weise. Dieses schwerste aller Delikte ist also die Basis für einen „echten“ Krimi. Ich halte das für höchst bedenklich, weil der Mord hierdurch gewissermaßen als eine durchaus nicht mehr ungewöhnliche Tat hingestellt wird. Zwar werden Fernsah-kramimorde oft oder sogar meistens an Personen begangen, die selber Verbrecher, wenn auch minderen Ranges, oder die zumindest sehr “unsympathisch sind. Das aber ändert gar nichts an der Tatsache, daß -es sich eben um einen Mord handelt.

Gewiß, es gibt im Fernsehen — im Gegensatz zu blutrünstigen Filmen — meist „saubere“ Morde. Mitunter sind sie bereits begangen, bevor das Spiel beginnt; man erfährt nur, daß er stattgefunden hat, oder man sieht nur noch die Kreidestriche, mit denen die Männer vom Morddezernat die Lage der Leiche markiert haben. In der Regel jedoch ist man Zeuge, wie jemand erstochen, erwürgt, erschössen, absichtlich überfahren oder ins Wasser gestoßen wird oder an den Folgen eines Giftes stirbt. Um das grausige Spiel nicht zu weit zu treiben, erspart man den Fernsehzuschauern meist den Anblick von Blut und Wunden und schont seine Ohren, indem man das Opfer nicht stöhnen oder röcheln, sondern es sofort tot sein läßt.

Die Entartung des Kriminalfilms zur sadistischen Schau ist aber keine Rechtfertigung dafür, daß Fernsehmorde besser sind, weil sie akustisch und optisch ein wenig gemäßigter begangen werden. Weshalb muß es denn, so frage ich, unbedingt ein Mord sein, der die Gehirne der beamteten und privaten Kriminalisten in Tätigkeit versetzt? Der Mord rangiert doch, glücklicherweise, in der allgemeinen Kriminalstatistik an unterster Stelle; in der Fernsehkrimistatistik hingegen steht er an der Spitze, wird er von den Autoren und Produzenten bevorzugt; man stattet ihn geradezu „liebevoll“ mit Details aus und zeigt, wie es gemacht wird. Wer die Absi-sich hat, sich auf die Verbrecherlaufbahn zu begeben, kann von den Fernsehkrimis viel lernen; und er darf sich mit Recht sagen, daß ja nicht überall so fähige Männer wie Jules Maigret, Howard Fedderson, John Drake oder Arnos Burke tätig sind. Die Chance, unentdeckt zu bleiben, scheint also gar nicht so gering. Wie gesagt: nichts gegen Krimis, aber sehr entschieden viel gegen die Häufung von Morden auf dem Bildschirm. Die Gefahr, daß, besonders von jugendlichen Zuschauern, ein Mord als ein alltägliches Vorkommnis, als gar nichts Außergewöhnliches empfunden wird, ist größer, als man gemeinhin anzunehmen gewillt ist. Ein Mord ist immer, gleich an wem er begangen wird, ein scheußliches Verbrechen; man sollte ihn daher nicht in den Stand einer Alltagserscheinung erheben.

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