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Digital In Arbeit

IWAN WADIMOWITSCH SCHÄTZT LITERATUR

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Scholochow? Klar, habe ich gelesen. Nicht alles, aber ich kenne ihn. Was ich gelesen habe? Weiß nicht mehr genau. „Der stille Don“ — ist der von ihm? Natürlich habe ich den gelesen. Das heißt, überflogen. Durchgeblättert... Wissen Sie, ich habe einfach keine Zeit, jede Zeile zu lesen. Und meiner Ansicht nach ist das auch nicht nötig. Ich persönlich brauche nur einen Blick auf eine Seite zu werfen, und schon erfasse ich das Wesen. Hab' mir das so beim Lesen von Berichten angewöhnt... Aber irri allgemeinen — es wird doch furchtbar schlecht geschrieben. Kein Schwung. Keine Tiefe... Ich verstehe nicht, was da los ist. Was haben die doch für herrliche Bedingungen! Die Honorare! Und Reisen! Studienfahrten, Arbeitsurlaub... Dabei keinerlei Verantwortung. Keinerlei Finanzpläne. Wenn ich das ein halbes Jahr lang könnte — mein Gott, was würde ich da schreiben! Fakten? Was heißt hier Fakten! Wenn dich die Partei an einen bestimmten Abschnitt stellt, an den Abschnitt der Literatur, wenn man dir die Möglichkeit gibt, ohne Arbeitskontrolle, ohne Untersuchungen, ohne diese ewigen Nervensägen zu arbeiten, dann sage dankeschön und schreibe einen Roman! Ein Parteiloser, der muß natürlich Begabung haben. Doch auch ihm hilft die Partei... Ach, ich sage Ihnen, diese Schriftsteller sind überhaupt ein komisches Volk. Irgendwie doch disziplinlos... Damals, als Majakowski noch lebte, wollte ich bei ihm Verse zum Jahrestag der Verschmelzung der Hauptverwaltung Steingut und Porzellan mit dem Unionhandelskontor für Steinguterzeugnisse bestellen. Ich rufe an, verlange Majakowski. „Ist für sechs Wochen verreist.“ Ich frage, wer ihn vertritt. „Niemand“, sagen sie. Nun bitte ich Sie: Was heißt denn „niemand!“ Da fährt ein Mann sechs Wochen weg und setzt einfach keinen Vertreter ein... Oder denkt der vielleicht, er sei unersetzlich? Wir haben niemand, der unersetzlich ist. Dann rief ich noch zweimal an — mitten am hellichten Tage, und niemand meldete sich. Was war? Erschossen hatte er sich! Das sind solche Leute... da kann man eben nie wissen. Kürzlich war ich im Moskauer Stadtsowjet — stellen Sie sich vor: Da kommt jemand von diesen Herrschaften und bittet mir nichts dir nichts um ein Landhaus. Und wie sie den behandelt haben! „Leider, verehrter Genosse, haben wir augenblicklich kein Landhaus zur Verfügung. Sie müßten sich bitte an den Landhaus-Trust wenden...“ Als er gegangen war, sagte ich: Aber ich bitte Sie — warum denn „leider“? Kann er sich etwa nicht über das Handelssyndikat ein Landhaus kaufen?

Die verdienen sich doch alle goldene Nasen... Wie bitte? Die Ausgaben der „Akademie“? Natürlich. Ich sammle sie — jawohl, das ist Kultur! Alles in Leinen gebunden, mit Goldprägung ... Es soll da noch besondere numerierte Exemplare geben — Chevraux oder Chagrin, irgend so was Ähnliches. Wunderbare Bücher! „Die goldene Ziege des Apuleius“ oder diese Sachen — das ist doch bezaubernd. Oder nehmen Sie den Boccaccio! Welch ein Meister der Sprache! Diese Leute konnten so delikate Dinge schreiben, und wie fein,wie kultiviert.....Der eiserne Strom“? Natürlich! Schon vor der Revolution im Gymnasium gelesen. Das ist doch eins von den Büchern, an denen ich mich politisch ausgerichtet habe...

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