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Moabiter Sonette

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Der Vater, General a. D. H a u s h o f e r,

Professor der Geopolitik an der Münchner Universität, war der Mann, der Hitlers „Ostraumpolitik“ wissenschaftlich fundiert und vorbereitet hatte, lange bevor sie die deutschen Tanks in die Wirklichkeit umsetzen sollten. Der Sohn aber, Literat und ebenfalls Gelehrter, gehörte zu jener Gruppe von Offizieren, die seit 1941 Attentate gegen Hitler einzuleiten suchten, die einem schicksalsvollen Verhängnis zufolge samt und sonders scheiterten. Im Zusammenhang mit den Ereignissen des 20. Juli 1944 wurde er gefangengenommen und zwei Tage vor der Kapitulation Berlins von SS-Leuten zusammengeschossen. In der Hand des Toten fand sein Bruder ein Bündel Papiere, auf die Albrecht Haushofer in Haft und Fesseln achtzig Sonette niedergeschrieben hatte. Einige daraus werden der „Furche“ zur Veröffentlichung übergeben.

Der Vater, der einer Lawine, die später den Sohn unter sich begraben sollte, den Weg öffnete; der Sohn, der glaubte, entlassen in die Freiheit gehen zu dürfen, als hinter ihm ein Schwarzuniformierter die Pistole zum Genickschuß hob; der Frühlingsabend, durch den schon ganz nahe die Gewehrschüsse der Sieger gellten: dies alles ist eine Tragödie, in der sich Schuld und Sühne menschlichem Begreifen entzieht.

In diesen achtzig Sonetten faßt ein erlauchter Geist mit der Klarsichtigkeit eines, der weiß, daß er sterben muß, sein Leben noch einmal zusammen, noch umfangen von der Tragik, seinen Vater auf der Seite der Unheilbringer zu wissen.

Ein tiefes Märchen aus dem Morgenland erzählt uns, daß die Geister böser Macht gefangen sitzen in des Meeres Nacht,

versiegelt von besorgter Gotteshand,

bis einmal im Jahrtausend wohl das Glück

dem einen Fischer die Entscheidung gönne,

der die Gefesselten entsiegeln könne,

wirft er den Fund nicht gleich ins Meer zurück.

Für meinen Vater war das Los gesprochen.

Es lag einmal in seines Willens Kraft,

den Dämon heimzustoßen in die Haft.

Mein Vater hat das Siegel aufgebrochen.

Den Hauch des Bösen hat er nicht gesehn.

Den Dämon ließ er in die Welt entwehn.

Vom edlen Ausklang römischer Geschichte

schenkt eines Mannes Buch die Zeugenschaft,

geschrieben vor dem Tod in strenger Haft:

„Der Weisheit Trost“ - Gedanken und Gedichte.

Der Letzte, der dem römischen Senat

im Gotensturm die Würde streng erhielt —

hat nicht sein Leben höchsten Rang erzielt?

Des Todes Adel ward in ihm zur Tat.

Sein Tod hat keinen Untergang gewendet —

erloschen war die Kraft der alten Welt. —

Sein Tod hat nur den Untergang erhellt.

Und vielen hat er später Trost gespendet,

da seines Beispiels hohe Hilfe spürt,

wen gleiches Los auf gleiche Bahn geführt.

Ich weiß vielleicht schon mehr von diesen Dingen als Taube von Musik. Vielleicht so viel, wie einer hört von fernem Flötenspiel, der Wachs im Ohr hat: ein gedämpftes Klingen. Doch immerhin genug, um einen Wert aus diesem oder jenem Ton zu hören, genug, den Spieler nicht im Spiel zu stören, genug, den Sinn zu wecken, der verehrt. So lausch' ich heute mit gebund'nen Händen auf manches, was an viele schon sich wendet, auf manches, was an mich allein gesendet, Und rufe selber aus des Kerkers Wänden, ob ungelenk und schwach, dem Nächsten zu: Sei nicht in Sorge — leben wirst auch du!

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