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Nachruf auf einen unbekannten Dichter

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Dem zu früh aus dem Leben gegangenen Thomas Wymislitzky gebührt ein Platz in der österreichischen Literatur - in erster Linie seiner Lyrik.

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Dem zu früh aus dem Leben gegangenen Thomas Wymislitzky gebührt ein Platz in der österreichischen Literatur - in erster Linie seiner Lyrik.

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Auf dem Tisch liegt ein schmales Bändelten mit Lyrik und Prosa, Texten eines sehr jungen Mannes, die zu den schönsten Hoffnungen berechtigen. Eine erste Veröffentlichung, in der vor allem die Lyrik aufhorchen läßt. Da ist ein neuer Klang, ein dunkler, höchst eigenwilliger Ton. Ermutigung wäre angebracht, weit mehr als das übliche verbale Schulterklopfen. Doch da der Bezen-sent weiß, daß der Autor tot ist, vergehen ihm die Worte. Ein seltener Fall in unserem Ge werbe. Dem Rezensenten ist mehr nach Heulen als nach Schreiben. Er schreibt, löscht, fängt von vorn an. Am liebsten würde er nichts schreiben, bloß: Hier sind Proben vom Können des früh verstorbenen Thomas Wymislitzky, lest!

Der Wunsch des Lesers, mehr zu erfahren, ist legitim. Doch ist nicht mehr zu sagen, als daß Thomas Wymislitzky 1995 in sehr jungen Jahren sein Leben beendete. Die Eltern, die das Bändchen mit den Arbeiten ihres Sohnes im Eigenverlag herausbrachten, verzichteten, bis auf eine kleine Widmung, auf ein informierendes Vorwort. Das Büchlein heißt „Wenn ich mich dem Leid öffne". Es zu lesen, wie der Autor seine Texte gelesen wissen wollte, heißt wohl, sich ebenfalls dem Leid zu öffnen.

Die Motive der Eltern, die Arbeiten ihres Sohnes zu veröffentlichen, waren sehr persönliche, begreiflicherweise gefühlsmäßige, doch die Be-zeption, der Widerhall, sollte öffentlich sein. Thomas Wymislitzky war ein hochbegabter Dichter und er verdient ein anderes als das in solchen Fällen übliche, von Sensationseffekten nicht freie Interesse.

Er hatte Fertiges vorzuweisen, Arbeiten, denen ein Platz in der österreichischen Lyrik gebührt, die, so meine ich, Bestand haben können.

Dabei ist sein Werk quantitativ fast ein Nichts, 90 kleinformatige Buch-seiten liegen vor, ein knappes Viertel davon Gedichte.

Was beim Lesen anrührt, ist - in aller Subjektivität, und so zurückhaltend wie möglich gesagt - die Intensität ihrer Botschaft, die Stärke ihrer Sprache, die formale Geschlossenheit.

Das Fehlen jeglicher Glätte. Die Schärfe, mit der dieser Dichter ins Auge faßt, was in ihm aufsteigt. Die Kraft seiner Metaphern. Doch dabei der Verzicht auf jedes Bild, das nicht genau der Botschaft entspricht. Diese Botschaft allerdings ist schwarz. Wenn er mich - spontan, in der Erinnerung, ohne dessen Lyrikbände heranzuziehen - an jemanden erinnert, dann an den frühen Hermann Hakel.

In den Prosastücken, wo das Leid nicht wie in der Lyrik jene sprachliche Überhöhung erfährt, die etwas wie Glanz auch in die tiefste Schwärze bringt, greift es auch unvermittelter und härter an. Hier ist freiließ auch vieles noch unausgegoren, nicht frei von moralisierenden Tönen, stellenweise Klischees.

Doch die Begabung ist auch in der Prosa unverkennbar. Etwa in Wendungen wie „Seine wahren Höhepunkte fand er in der Verehrung, nicht in der Erregung" oder „Er wollte irgend etwas Absolutes, und das war mehr als ein Defekt des Bürgertums", oder wenn er den Tod eines einsamen alten Mannes beschreibt: „An einer Ecke stand ein Leierkastenmann mit der Armbinde der Blinden. Er wollte ihm ein paar Münzen geben, als er den Druck auf seiner Brust spürte und Blut schmeckte. Während sein Körper immer schwerer wurde, wurde die Lärmfolge des Leierkastens aus nicht ganz reinen Tönen immer lauter, wie die Musik im Badio, wenn man den falschen Knopf drehte. Beinahe war er froh, Tag und Stunde nicht zu wissen, als etwas in ihm kapitulierte und die beiden Zeiten wieder eins wurden."

Thomas Wymislitzky schrieb keine Texte für den Markt. Sein Weg als Dichter wäre nicht leicht gewesen, aber die Qualität vor allem seiner Lyrik erscheint mir unbestreitbar. Früher oder später sollte er seinen Platz finden - unter den früh dahingegangenen Begabungen, die aber doch ihren Weg so weit gegangen sind, daß man ihre Eigenart und ihre Bedeutung erkennen konnte. Doch dazu muß er erst einmal zur Kenntnis genommen werden, und dazu sollen diese Zeilen beitragen.

IWENN ICH MICH DEM LEID ÖTfNE... Von Thomas Wymislitzky f Eigenverlag, Wien 1997

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