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NIE WIEDER GRIEG?

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Norwegens Nationalkomponist stemmt großväterlicherseits aus Schottland, der Familienname lautete ursprünglich Greigh. Vielleicht ist hierdurch — als Kompensation des ursprünglich „Fremden“ — Griegs „fanaltische, fast dämonische Liebe zur Heimat“ (wie schon Schjelderup kritisch feststellte) zu erklären. So eindeutig, fest umrissen und schattenlos Ediward Grieg als Mensch und als Künstler vor unserem geistigen Auge steht, so sehr schwankte die Bewertung seines kompositorischen Schaffens während der letzten 50 Jahre.

Edward Grieg wurde 1843 in Bergen geboren. Ein Besuch von Ole Bull, „Paganini des Nordens“ genannt, auf dem mutterlichen Besitz in Landas bei Bergen sowie dessen enthusiastisches Urteil über die Musikalität des Fünfzehnjäh-rigen entschied sein Schicksal. Noch im gleichen Jahr (1858) kam Grieg aufs Leipziger Konservatorium, die Pflanzstätte so vieler berühmter Musiker des 19. Jahrhunderts, wo er vier Jahre lang bei Wenzel, Moscheles, Reincke u. a. lernte, aber als Schaffender kaum Anregungen empfing. Ebenso erging es ihm mit dem angesehenen Lehrer und feinen Musiker Niels Gade in Kopenhagen. Das änderte sich, als Grieg mit dem Schöpfer der norwegischen Nationalhymne, Nordraak, zusammentraf, der übrigens ein Vetter des Dichters Björnson war, und der kurz darnach, 1866, starb.

U berhaupt fielen die wichtigsten Entscheidungen im Leben Griegs vor genau 100 Jahren: Im Winter 1866/67 lernte er in Rom Henrik Ibsen itoennen, zu dessen „Peer Gynt“ er später die bekannte Bühnenmusik schrieb (aber das Verhältnis zu Ibsen blieb kühl und distanziert). - Im gleichen Jahr wurde Grieg in Rom durch Liszit in die Gesdlschiaft eingeführt. Und 1867 heiratete er seine Cousine, die Sängerin Nina Hagerup, die ihn um viele Jahre überlebte und noch als Achtzigjährige eine eindrucksvolle Interpretin von Griegs Liedern gewesen sein soll. Beide Eheleute waren von fast zwergenlhafiter Statur, sie lebten gemeinsam erst in Oslo, wo Grieg einen Musikverein gründete und leitete, dann in Bergen und zuletat in dem schönen Landhaus „Trddhaugen“ (Kdbolidlhügal), das sich Grieg hatte bauen können.

Die letzten beiden Jahrzehnte seines Lebens waren, dank eines generösen Staatsstipendiums und eines Vertrages mit der Edition Peters in Leipzig, frei von materiellen Sorgen. Hier, in dem berühmten deutschen Musikveriag, sind sämtliche Kompositionen Griegs erschienen. Sein Leiter, Dr. Max Abraham, war nicht nur ein Gönner, sondern auch der persönliche Freund seines erfolgreichen Autors, der um die Jahrhundertwende zu den meistgespielten Klavierkompo-niisten zählte. Verdüstert wurde Griegs Leben lediglich durch eine immer im Hintergrund lauernde Krankheit, die Tuberkulose, die er sich schon in jungen Jahren zugezogen hatte, der er schließlich auch erlag, der er aber nicht nur ein umfangreiches kompositorisches Werk, sondern auch zahlreiche Konzertreisen, als Pianist und Dirigent seiner eigenen Werke, albtrotzte. Grieg trat als Interpret seiner Werke in den meisten großen deutschen Städten, in Lodon, Paris, Wien (1896), Prag und Budapest auf, und zwar bis unmittelbar vor seinem Tod im September 1907.

Wir verschworen uns gegen den durch Mendelssohn verweichlichten Skandinavismus und schlugen mit Begeisterung einen neuen Weg ©in“, schrieb Grieg einmal. Es war der Weg durch die heimatliche Folklore, die Lieder und Tänze der Bauern, wie ihn 50 Jahre später auch Bela Bartök gegangen ist. Dabei beschränkte sich Grieg fast ausnahmslos auf die Kleinforan, deren Großmeister er allerdings war. Seine Originalitoompositionen sind von den Aufzeichnungen (mit unterlegter Klavierbegleitung) kaum zu unterscheiden, so sehr wurzelte seine Melodik und seine Formsprache in der norwegischen Volksmusik.

Sein charakteristischstes und erfolgreichstes Werk sind die „Lyrischen Stücke“ in zehn Heften, op. 12 bis op. 71, die Grieg durch das gemeinsame Thema des ersten und des letzten Stückes („Arietta“ und „Nachklänge“) verbunden hat. Das KlawierwerJk Griegs umfaßt zwei weitere Bände zu je über 200 Seiten mit Aufzeichnungen norwegischer Tänze und Lieder, freien Bearbeitungen und Transkriptionen eigener

Aus dem Musikleben

• Im Rahmen der Steirischen Akademie 1967 findet vom 12. bis 14. Oktober ein Symposion für Musikkritik statt, an dem die folgenden Musikologen und Kritiker teilnehmen: Theodor W. Adorno (Frankfurt), H. H. Stucfcenschmidt (Berlin), Harald Kaufmann (Graz), Willi Schuh (Zürich), huigi Rangioni (Mailand), Heinz-Klaus Metzger (Essen), Dorde Saula (Agram), Helmut A. Fiechtner (Wien), Imre Fabian (Budapest) und Andreas Razumofsky (Frankfurt).

• Im Theater an der Wien wird ein hauseigener Ballettabend vorbereitet, dessen Premiere am 27. Dezember stattfinden soll. Zu den drei neuen, erstmalig in Wien gezeigten Balletten „Des Kaisers neue Kleider“, ,£>er Golem“ und „Ein Amerikaner in Paris“ werden Wolfgang Hutter, Ernst Fuchs und Hubert Aratym die Bühnenbilder und Kostüme entwerfen.

• Weberns Musik erfreut sich bei den Choreographen unverminderter Gunst; nach Stuttgart, wo zuletzt die Passacaglia op. 1 auf die Bühne gebracht worden war, kündigen Paris die sechs Orchesterstücke op. 6 und Mannheim die Ricercata sowie die fünf Orchesterstücke op. 10 als Ballettnovitäten an.

• Der polnische Komponist Krzystof Penderecki arbeitet im Auftrag der Hamburger Staatsoper an einem neuen Werk, dessen Libretto auf einem Hexenprozeßbericht von Aldous Huxley basiert. Die Oper wird „Der Teufel von Loudin“ heißen.

• Der in Kirchstetten lebende Wystan Hugh Auden erhielt die amerikanische „Nationale Medaille für Literatur“ 1967. Zusammen mit ehester Kallman schrieb er die Textbücher für „The Rake's Progress“ von Strawinsky und „Elegie für junge Liebende“ von H. W. Henza.

Orchesterwerke. Denn so sehr Griegs Schaffen um das Klavier zentriert ist — es blieb keineswegs darauf beschränkt.

Sehr populär wurden seine beiden Suiten für Orchester zu „Peer Gynt“. — Hier kommen auch richtige „Genrestücke“ vor. Anitras berühmter Tanz ist eine polnische Mazurka mit eigeschobenem Englisch-Waltz und mit norwegischer Thematik. „Morgensltimmung“ ist in der Art des Siegfried-Idylls entwickelt und instrumentiert, „Aases Tod“' besteht, wie das Vorspiel zu „Lohengrin“, aus einem längeren Crescendo des immer gleichen Motivs und einem kürzeren Decrescendo. (In der „Grablegung“, dem Mittelstück von Hindemdths Mathis-Symphonie, hat es einen späteren Nachfahren).

Weniger bekannt, aber von fast gleicher Bedeutung ist die Suite zu „Sigurd Jorsalfar“ und zu dem nicht vollendeten Drama Björnsons „Olaf Trygvason“. Als Suite im alten Stil ist das Orchesterwerk „Aus Holbergs Zeit“ konzipiert, das sich auch als Ballettmusik gut bewährt hat. — Von den größeren, mehrteiligen Formen ist an erster Stelle das Konzert für Klavier und Orchester in a-Moll zu nennen (fast das einzige Orchesterwerk Griegs, dem man noch im Konzertsaal begegnet), ferner drei Streichquartette, drei Violin- und eine Cellosonate sowie eine umfangreiche Kia-viersonate in e-Moll. — Von ähnlicher Quantität, wenn auch nicht von gleichem Rang, ist Griegs Liedschaffen. Von den insgesamt 244 Liedern sind rund ein Drittel auf deutsche Texte geschrieben. Zeitlich sind Griegs Klavierlieder nach Franz und Jensen, aber vor den meisten Liedern Dabussys, Ravels, Pfitzners und Strauss' entstanden, und vieles, was bei den genannten Komponisten als modern und bahnbrechend gefeiert wurde, vor allem auf dem Gebiet der Harmonik, findet sich bei Grieg vorgebildet.

Das trifft nicht weniger auf die Klavierstücke zu. Ostinate Rhythmen, leere Quarten und Quinten, kühne Harmonien über ruhenden oder immer wieder angeschlagenen Bässen, von unserer Dur- und MolMonleiter abweichende Melodien mit reichen Fiorituren (die oft dem Spiel des norwegischen Nationalinstruments, der Hardangerfiedel, nachgebildet sind) kennzeichnen eine Musik, die man sofort als „Grieg“ identifiziert. Zwar zeigt Griegs Handschrift im Lauf von 20 Schaffensjahren keine auffallende Veränderung, doch führen von hier — von den frühesten Kompositionen angefangen — viele Wege in Neuland. Zunächst in das des Impressionismus, und von dort weiter zur Dur-Moll-fremden Melodienbildung und zur freien, nach den Gesetzen der klassischen Harmonik nicht mehr zu bestimmenden Tonaliität.

Griegs Ktawierwerk ist — mit Ausnahme des einen Konzertes mit Orchester — aus unseren Konzertsälen verschwunden, seinen Liedern begegnet man kaum in einem Programm. Nur im Unterricht wird da und dort noch Grieg gespielt: zur Freude und zum Nutzen der von Czerny und anderen technischen Langweüern geplagten Klaviersohüler. Man sollte es mit Grieg wieder versuchen. Einer Folge von fünf oder zehn kurzen lyrischen Stücken brauchte sich auch ein heutiger Kbnzertpiainiist nicht zu schämen. Das Publikum wird ihm vielleicht dankbar sein. Zumal ja „Salonmiusik“ — wenigstens in Wien — wieder in Mode au kommen scheint. Und kein Wort gegen sie, wenn sie so sauber gemacht, har-

moniisch so originell und formal so abgerundet ist wie die „Lyrischen Stücke“ von Grieig. Nach wie vor betreut die „Edition Peters“ in Leipzig und in Frankfurt Griegs gesamtes Werk. Hier gibt es, neben den genannten „klassischen“ Werken Griegs auch ein „Norwegisches Klavierbüchlein“, eine Neuausgabe der „Slatter“ (Norwegische Bauerntänze) op. 72, ein hübsch zusammengestelltes Grieg-Album, zur Einführung, und, natürlich, auch die „Peer-Gynt-Suite“ vierhändig...

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