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Offene Weine gesucht

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Ich wurde mich ja gerne besaufen. Aber vor den Genuß hat der Winzer den Stoppel gesetzt.

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Ich wurde mich ja gerne besaufen. Aber vor den Genuß hat der Winzer den Stoppel gesetzt.

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Vor etwa einem Jahr verbrachte ich eine Nacht im Leihwagen vor dem Eingangstor zu einer afrikanischen Lodge. Ich will damit nicht angeben, daß ich schon in Afrika war.

Ich will nur erzählen, daß es mir um 18.05 Uhr nicht möglich war, die um 18 Uhr zugeschlossene Tür noch aufzukriegen. Dasselbe galt damals leider auch für eine Dose Cola und eine Packung Salzmandeln, die neben mir lagen. Voll Zorn über meine Verspätung und über die Pünktlichkeit der Schwarzen, mit der sie ihre Fremdenverkehrseinrichtungen vor nächtlichen Besuchern aller Art versperrten, zog ich durstig am Verschlußring der Aluminiumverpackung.

Als Umweltschützer mit solcherlei nicht sonderlich vertraut, da ich meine Getränke normalerweise aus Flaschen beziehe, brach ich das Ringlein ab. Es kann sich natürlich auch um einen Fabrikationsfehler und nicht um meine technische Un kenntnis gehandelt haben, die mir den Zugang zu der Flüssigkeit versperrte, jedenfalls kühlte die Dose langsam von ihrer Tageserhitzung ab, blieb aber zu.

Der zähe Plastiküberzug, der sich eng an die verschweißten Peanuts drängte, tat desgleichen, selbst der zum Bohren angesetzte Autoschlüssel konnte ihm nichts anhaben. Mir fiel das Lied vom Nippel ein, das vor Jahren die Runde gemacht hatte und wo es hieß, daß man ihn nur durch die Lasche ziehen mußte, um ans Ziel der Wünsche unseres Verpackungszeitalters zu kommen. Und mir war nicht zum Lachen. Ich hoffte nur, daß die nächtens umherstreifenden Löwen mit meiner Autotüre ähnliche Probleme haben würden.

Nicht nur in anderen Kontinenten bin ich ein Opfer der Verschlüsse. Es ist keine zehn Tage her, da war im Hause ein Kastengriff gebrochen. Knapp davor hatte mich die Werbung über ein Klebemittel informiert, das Zehntonner auf regennasser Fahrbahn gnadenlos festhält, und ich kaufte es.

Doch die Sollbruchstelle ging nicht auf. Eindeutig wies mich die Gebrauchsanweisung in die Vorgangsweise ein, ich befolgte sie sklavisch, die Tube hielt. Es mag ein Fehler gewesen sein, ihr mit der Schere zu Leibe zu rücken. Jetzt, da mir langsam die letzten Leimfetzen von den Fingern fallen, weiß ich es. Der Kastengriff ist immer noch kaputt.

Auch die guten alten Einsiedeglä- ser halten meinen Eingriffen stand. Der Gummiring, den man an seiner Verdickung fest zu sich ziehen muß, wird lediglich immer länger, reißt schließlich, doch das Glas öffnet sich nicht. Auch Versuche, den Spalt zwischen Deckel und Unterteil mit dem Messer zu vergrößern, enden gewöhnlich mit der Suche nach Heftpflaster. Dieses liegt in neumodischen Packungen zugeschnitten bereit. Doch nur selten lösen sich die hiefür vorgesehenen Schutzschichten vom eigentlichen Pflaster, inzwischen tropft das Blut, und da es dessen nach einer Weile von selber überdrüssig ist, kann ich ans Reinigen des Bodens gehen. Dafür jedoch brauchte ich das Putzmittel, das aber befindet sich in einem Kunststoffgebinde, dessen Verschlußmechanismus mir ein Rätsel ist.

Beruhigende Musik klingt aus dem Radio. Ich eile, um diese klammernden Töne auf Kassette zu bannen. Doch letztere ist im Original- Fünferpack verschweißt nicht aufzukriegen, die Klänge verhallen un- konserviert.

Ich würde mich ja gerne besaufen. Aber vor den Genuß hat der Winzer den Stoppel gesetzt. Resignierend drehe ich die Wasserleitung auf.

Damals, am Morgen dann in der Lodge, hatten sie wenigstens offene Weine.

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