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Sitzen will gelernt sein

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Jeder Chef, egal welches Prachtstück von Sessel er sich besorgt, muß achten, richtig zu sitzen

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Jeder Chef, egal welches Prachtstück von Sessel er sich besorgt, muß achten, richtig zu sitzen

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Man muß laufend Entscheidungen treffen. Man trifft sie jedoch selten laufend, denn es hilft nicht viel, Entscheidungen nachzulaufen; man faßt sie meistens sitzend. Sitzen ist unser Schicksal. Ich habe einmal geschrieben: „Das schreckliche Los des Schriftstellers - von der Zusammenarbeit des Hirns mit dem Hintern abhängig zu sein!“ Dies betrifft jedoch nicht nur die Schriftsteller.

Eine alte orientalische Anekdote behauptet, daß es besser ist zu fahren als zu Fuß zu gehen, besser zu sitzen als zu stehen und besser zu liegen als zu sitzen. Da man beim Fahren in der Regel auch sitzt, ist also das Sitzen die häufigste Position. Und auch nicht die schlechteste.

Heute haben die Ärzte eine andere Wertskala. Das Gehen halten sie für das Beste, das Liegen empfehlen sie immerhin noch als Heilmittel — das Sitzen verdammen sie.

Es hilft aber nichts — ohne Sitzen geht es nicjit. Man kann zwar auf die besten Gedanken bei einem Waldspaziergang oder nachts im Bett liegend kommen - um sie zu notieren, muß man sich doch hinsetzen. Man kann so manches im Gehen, ja im Vorbeigehen erledigen, aber nur manches. Man kann natürlich stehend telefonieren oder im Zimmer spazierend diktieren - das ist aber auch nicht das Wahre. Wie die Russen sagen: „Die Wahrheit steckt nicht in den Beinen.“

Sitzen ist auch eine würdige Tätigkeit, ja, ein Symbol der Würde. Man kann sich eine Beratung, ja sogar eine Besprechung im Stehen vorstellen. Wenn es aber um ernste Gespräche mit bedeutenden Leuten geht, beruft man eine Sitzung.

Wenn sich jemand nach oben durchgekämpft hat, sitzt er eben oben — er steht da nicht und liegt nicht. Und wenn er gehen muß, ist es für ihn traurig. Die Qualität unserer Arbeit und unserer Entscheidungen hängt selbstverständlich nicht nur davon ab, wo man sitzt. Und auch nicht nur davon, wie lange man da sitzt. Entscheidend ist auch, wie man sitzt.

Ich weiß nicht ob die Psychologen schon Sitzologie als Unterwissenschaft gegründet haben — wahrscheinlich gibt es sie, sie heißt nur irgendwie griechisch. Wenn nicht, müßte man sie gründen. Das Leitmotiv: „Zeig mir, wie du sitzt, und ich sage dir, wer du bist und wie du arbeitest.“

Die Entscheidungen werden wohl unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob man hoch zu Roß sitzt oder in einem Loch hockt. Was davon besser ist, bleibt noch zu entscheiden - in dem ersten Fall handelt man wohl entschiedener, im zweiten besonnener. Es kann freilich auch umgekehrt sein: Man kann, im Loch versteckt, anderen kühnere Befehle geben und mehr an Vorsicht denken, wenn man hoch zu Roß in der ersten Linie reitet. Um hoch zu Roß zu sitzen oder im Loch zu hocken, braucht man kein Pferd und keinen Schüt zengraben — gefühlsmäßig kann man beides im Ledersessel des Chefbüros verwirklichen.

Wie man sitzt ist eine Frage des Charakters und der Stimmung, nicht der Sitzgelegenheit. Natürlich muß ein Chef ein imposantes Möbelstück unter seinem Hintern haben — es geht ja um sein Prestige, seine Autorität, ja sogar um seine Kreditwürdigkeit. Schließlich wußten die Monarchen ganz genau, warum sie sich prachtvolle Throne verschafften.

Jeder Chef, egal welches Prachtstück von Sessel er sich besorgt, muß darauf achten, richtig zu sitzen — nicht nur aus gesundheitlichen, sondern auch aus psychologischen Gründen. Wer das nicht kann, muß es lernen — denn unter dem Personal und unter den Kontrahenten finden sich immer gewiefte Psychologen.

Der Sessel muß nicht nur die Krümmungen unseres Rückgrats vor fremden Augen verbergen, die wir eventuell auf dem Wege zum Chef- stuhl erworben haben, sondern auch das, ob wir eben hoch zu Roß oder tief im Loch sitzen. Das dürfen nur wir wissen — und sonst niemand. Dazu ist der teure Sessel da.

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