6645152-1958_19_10.jpg
Digital In Arbeit

Towarisch und Milchstrbe

Werbung
Werbung
Werbung

„T o w a r i t c h“ von Jacques D e v a I im Volkstheater in der Regie Trimbur neu herausgebracht, ist eine alte Komödie mit dem Hintergrund eines großen Dramas als Kulisse. Der Bolschewismus und die russische Revolution, Emigrantenelend in Paris, Volkskommissare im Außendienst: das alles dient hier dazu, eine amouröse und amüsante Komödie mit dunklen und hellen Lichtern zu garnieren, lieber diesen (politischen) Geschmack ist nicht zu streiten; er ist eindeutig abzulehnen. Nun versteht es aber Deval, einer der geschicktesten Routiniers und Theaterhasen von der Seine, das „Schicksal“ seines hochgeborenen Heldenpaares als Dienstboten bei einem „radikalen“ Pariser Bankier so spritzig darzustellen, daß das Publikum keinen Augenblick von ihm in die Langeweile entlassen wird. Es gibt nur Bombenrollen in diesem Komöd-chen. Ein totsicherer Erfolg also. Das Voikstheater hat sich für das hochfürstliche Paar zudem zwei namhafte Gäste engagiert: Blanche Aubry und Gustav Fröhlich. Wobei zu vermerken ist. daß es der guterhaltene Ufa-Star, Herr Fröhlich, nicht leicht hat, an der Seite der Schweizerin Aubry, die überschäumend in ihrem Temperament und sehr klug im Einsatz ihrer Mittel ist. Neben diesem Gastpaar behaupten sich trefflich das Bankierehepaar Margarethe Fries und Franz Bauwieser sowie die beiden charmanten Vertreter der jungen Generation, Paola Loew und Günther Bauer. Dem Text nach spielt dieses Stück in Paris im Mai; in Wien dürfte es sich über den ganzen Sommer halten, seiner Zugkraft nach wie seinem Gehalt, der es überzeugend dem Genre luftiger Sommerspiele zuweist.

Ein deutscher Theaterdirektor hat in einer nicht unbedingt seriösen Stunde der Skepsis und Liebe zur Statistik errechnet, daß auf dreihundertzwanzig erfolgreiche Dramatiker der Weltliteratur ein einziger aussichtsreicher deutscher Nachkriegsautor komme. Demnach müßte man Herrn Dr. phil. Karl W i 11-Iinger, 36 Jahre alt, Heizer, Dolmetscher, Regisseur, Holzarbeiter, Novellen-, Hörspiel- und Komödienschreiber, Träger des Gerhard-Hauptmann-Preises und Verfasser der Zweipersonenkomödie „Kennen Sie die Milchstraße?“ immerhin zugestehen, der zweite zu sein. Sein Stück erreichte bis jetzt nicht weniger als tausend Aufführungen. Wir sehen es zur Zeit in einer ideenreichen, präzisen Inszenierung Otto Schenks im Kleinen Theater der Josefstadt im Konzerthaus. Ein originelles, ein geistreiches kleines Stück I Leicht verrückt und mit ein paar Unarten der seit ungefähr dreieinhalb Jahrzehnten latent „modernen“ boulevard-humanistischen, tief-und ab- und hintergründigen, experimentellen Kabarettbühne gepflastert, aber klug, durchdacht und amüsant. Und was mehr wiegt: sauber gearbeitet und kraft einer echten, frischen, komödiantischen Ader höchst liebenswert und wirkungsvoll. Man wandelt einen Abend lang auf einer gediegenen SträBe des Talents. Ein tragikomischer Miniaturkosmos der Menschenseele ist da eingefangen, ein pointenreiches Gleichnis, ein satirischer Bilderbogen aus dem Leben eines Mannes, der die gesetzgebenden, formularerhaltenden Körperschaften dieser Welt für tot erklären und somit bei lebendigem Leibe in ein identitätskartenloses Zwischenreich befördert wird, woselbst es für ihn kein Existenzminimum gibt, nur ein Irrenhaus. Franz M e s s n e r und Jochen Brockmann besorgen mit Witz und Charme und beeindruckender Charaktertypisierung ein halbes Dutzend wohlgeratener Verwandlungsrollen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung