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Die Reisenotizen eines Besessenen

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Erkundung in Smara. Von Michel Vieuchange, Riedemann. Benziger-Verlag, Einsiedeln-Zürii

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Erkundung in Smara. Von Michel Vieuchange, Riedemann. Benziger-Verlag, Einsiedeln-Zürii

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Immer wieder brechen junge Leute auf, um in größter Gefahr ihren Mut, ihre Ausdauer und ihre Leistung zu beweisen. Es locken unbezwungene Felswände genauso wie unerforschte, nie betretene Gebiete oder zurückgezogene, alte Bergbewohner, bis zu denen noch nie ein Europäer drang. Dieser Wunsch: der erste zu sein, der Neues sieht und bewältigt, ist stärker als das Bedürfnis, wissenschaftlich zu forschen und das Entdeckte auch anderen zugänglich zu machen; der Wille, sich durch diese Tat selbst zu bezwingen, seine eigene Existenz aufs Spiel zu setzen, um entweder als Sieger hervorzugehen oder zUjSter- ben, dieser Ansporn treibt zur Tat, nicht aber der Wunsch, daß diese Entdeckung, diese Leistung für die Gemeinschaft, in der wir leben, von Nutzen sein könnte.

Am 10. September 1930 brach Michel Vieuchange als Berberfrau verkleidet auf, um Smara zu erreichen. Smara, eine legendäre Wüstenstadt, wurde in der Maurenzeit von Ma el Ainins erbaut; im spanischen Saharagebiet liegend, war der Name dieser geheimnisumwitterten Stadt zwar bekannt, doch noch nie hatte der Fuß eines Europäers diese Wüstenfestung betreten.

Aus dem Französischen von Wilhelm von i-Köln. 232 Seiten. Preis 115.30 S.

Michel Vieuchange erreichte am 1. November Smara und durchforschte drei Stunden lang die verlassenen Gassen und Häuser. Am 30. November wieder auf französischen Boden zurückgekehrt, konnte er seinem Bruder seine Aufzeichnungen übergeben. Geschwächt, erlag er einer Dysenterie.

Die Tagebucheintragungen zeugen von den ungeheuren Anstrengungen, von den fast unerträglichen Qualen, die Vieuchange auf sich nimmt, um Smara zu erreichen. Er behauptet, nicht mehr leben zu können, ohne Smara gesehen zu haben. Darin zeigt sich nun die ganze Sinnlosigkeit und im Grunde auch die Schwäche dieses gehetzten Reisenden, der den vielen Aufgaben, die die Gesellschaft an ihn stellt, entfloh und nun, in innere Vereinsamung geraten, durch eine großartige Tat und Leistung sich zu bestätigen wünscht. Er schildert die Schwierigkeiten und Gefahren, die sich ihm in den Weg stellen. Tage verbringt er in völlig verdunkelten Räumen, um nicht entdeckt zu werden, oder er verbirgt sich in einem Tragkorb, um ungesehen auf dem Rücken eines Kamels weitergetragen zu werden: alles, um drei Stunden lang Smara zu sehen.

WIE „EINE HARFE OHNE SAITEN", leer und hohl ist das Leben des Dichters Melf, der an einem genau vorausberechneten Tag, am 28. November jedes zweiten Jahres, einen Roman zu schreiben beginnt, vielmehr ein „dichterisches Meisterwerk“ zu einem schon längst vorausgewählten Titel zu Papier bringt. Edward Gorey will mit seiner zeitkritischen Satire „Eine Harfe ohne Saiten oder Wie man einen Roman schreibt" (Übertragung der Texte ins Deutsche von Wolfgang Hildesheimer, 63 Seiten, Diogenes-Verlag, Zürich, Preis 5.80 DM) einem Symptom der Gegenwart zu Leibe rücken. Die Kritik des amerikanischen Illustrators Gorey wird durch 30 Federzeichnungen ergänzt. Diesen wurde die hier wiedergegebene Zeichnung entnommen.

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